Neulich saß ich im Zuge einer Fischottererhebung für das Land Oberösterreich in einer Pension in Hinterstoder. Der Pensionsinhaber, weder Fischer noch Ökologe, aber doch über die Problematik des Fischrückgangs an der Steyr informiert, fragte mich ernsthaft und ohne Sarkasmus, wovon die Otter denn leben würden, nachdem die Fischbestände zusammengebrochen wären.
Diese Überlegung eines Laien bringt die Sache auf den Punkt: Viele Fische, viele Fischotter, aber sicher nicht viele Fischotter und keine Fische, wie man es allzu oft in Fischerkreisen hört. Fischotter sind sehr territorial, keine Nomaden wie die Kormorane, die im Winter einmal hier und einmal dort auftauchen, Fischbestände dezimieren und dann einfach weiterfliegen. Nimmt die Nahrungsbasis für den Otter ab, so geht hiermit unweigerlich auch eine Abnahme des Otterbestandes einher. Einmal „leer gefressene“ Bäche werden nicht einfach verlassen, um in einem anderen Bach, der noch voller Fische ist, weiter zu fressen. Dort sitzt nämlich bestimmt schon ein anderer Otter. Es kommt zu Auseinandersetzungen, bei denen einer unterliegt; im besten Fall zieht er weiter, aber bald sind die Reserven erschöpft und das Ende naht. Das ist eine Möglichkeit der innerartlichen Bestandsbeschränkung: Erhöhte Sterblichkeit betrifft alte und junge Otter, mitunter aber auch mittelalte Otter. Die andere Möglichkeit ist eine reduzierte Geburtenrate: Gibt es weniger zu fressen, so unterdrücken die dominanten Weibchen rigoros die Vermehrung von Nebenbuhlerinnen. Wird es für sie selbst knapp, werden weniger Junge geboren oder die Abstände zwischen den Geburten werden länger.
Im Grunde stellt sich auch in unserer Kulturlandschaft ein gewisses Gleichgewicht zwischen Otter und Fischen ein; diese Regel ist nicht auf Naturlandschaften oder „Urzustände“ beschränkt. An nicht wenigen, vor allem kleinen Fließgewässern, sind die Fischbestände aber markant gesunken und doch gibt es Otter, mitunter nicht so wenige. Wie passt das zusammen? Das geht nur, weil wir Menschen dauernd Fische von außen zusätzlich in den Lebensraum der Otter einbringen. Dies geschieht über den Besatz mit Fischen an Teichen ebenso wie an den Fließgewässern selbst. Diese Fische sind für den Otter nicht nur eine willkommene, sondern auch eine besonders leichte Beute. Diese Fische kommen aus Fischzuchten, haben keine Ahnung, was ein Otter ist, wie man sich vor ihm schützt, haben weniger Kondition und kennen den neuen Lebensraum nicht.
Der Fischotter hat sich in den letzten 25 Jahren von Norden und Osten über weite Bereiche Österreichs wieder ausgebreitet. Die Kartierungen sind aber unterschiedlich alt, so dürfte z. B. der Otter in Nordtirol derzeit schon deutlich weiter verbreitet sein als die Kartierung aus dem Jahr 2010 zeigt. Diese Karte spiegelt aber nur die Verbreitung und nicht die Dichte des Ottervorkommens wider. Die Verbreitungskartierungen basieren auf Losungsfunden unter Brücken.
Wir Menschen füttern also, wenn auch unbeabsichtigt, den Otter. Da Fischotterreviere ja erstaunlich groß sind, wird so meist mehrmals jährlich irgendwo in seinem Revier der Tisch neu und reichlich gedeckt. Zumindest einmal wöchentlich wird das ganze Revier vom Otter kontrolliert, dabei entdeckt er dann diese Futtergaben. Im Zuge dieser Reviergänge durchstreift er auch Fließgewässer, die nur mehr sehr wenige Fische beherbergen. Trifft er dort einen dieser wenigen Fische, so wird er ihm nachstellen und gerade in kleinen Gewässern wird er damit auch erfolgreich sein. Durch die „Otterfütterung“, irgendwo nach, neben oder hinter dem Gewässerabschnitt mit wenigen Fischen, wird er quasi belohnt und so geht in Teilbereichen des Otterreviers die Rückkopplung „wenige Fische = wenige Fischotter“ verloren. Wir müssen daher alles tun, um jede Form der unbeabsichtigten Otterfütterung zu unterbinden. Dann werden die Otterbestände zurückgehen und die Fischbestände der Fließgewässer haben wieder eine echte Chance sich zu erholen.
Fische im Bach gehören niemandem. Viele Angler glauben, dass sich die Fischbestände durch Otterbejagung wieder erholen würden. Man jage ja auch Rehe, Hirsche und Wildschweine nicht nur zum Vergnügen, sondern auch, um Schäden in der Land- und Forstwirtschaft zu verhindern. Dabei wird aber übersehen, dass Produkte der Land- und Forstwirtschaft, also Fichten, Mais oder auch Fische in einem Fischteich dem Besitzer gehören. Im Falle der Fische im Bach trifft dies aber nicht zu! Diese gehören niemanden, der Fischer hat nur ein Aneignungsrecht. Aus gleichem Grunde stellen Jäger auch keine Anträge, Wölfe schießen zu dürfen, um den Bestand an Rehen und Hirschen zu schützen.
Solange wir die unbeabsichtigte Otterfütterung aber nicht stark einschränken, wird mit einer Otterentnahme nicht das Problem, sondern nur ein Symptom bekämpft und das schlecht: Es wird zu einer Sisyphusarbeit ausarten, bis die Eingriffe so stark sind, dass die Ottervorkommen wieder im Bestand bedroht sind, was ja auch die Angler und Fischer nicht wollen. Es ist schlicht nicht nachhaltig, Otter auf der einen Seite zu füttern, sich zu wundern, dass es so viele sind, und sie dann wieder durch Fang oder Abschuss reduzieren zu wollen. Dazu kommt noch, dass Otter nicht wie Fuchs und Marder nur im Frühjahr Junge bekommen – sie sind mit der Reproduktion an keine Jahreszeit gebunden. Und wenn sie einmal Junge haben, werden diese nicht nur zwei, sondern sechs Monate gesäugt; weitere sechs Monate werden sie von der Mutter mit Fischen versorgt. Man kann also nicht einfach einen Otter zum Abschuss freigeben. Man kann ja Männchen und Weibchen nicht unterscheiden und läuft damit stets Gefahr, dass die Jungen eines erlegten Muttertieres verhungern müssen. Der Lebendfang ist wiederum aufwändig und wird vielerorts nicht effektiv betrieben werden können.
Wir sind daher gut beraten, das „Otterproblem“, anders in den Griff zu bekommen als über Abschüsse, hierzu ein paar Ansätze:
Aber vergessen wir nicht: der Fischotter kann ohne Fische nicht leben, für uns Menschen ist das Angel hingegen in aller Regel eine wunderschöne Freizeitbeschäftigung. Leider ist der Weg zu mehr Fischen in unseren Fließgewässern mühsam und langwierig.
Text: Andreas Kranz