Die Natur und die von ihr erbrachten Ökosystemleistungen bilden die Grundlage für eine dauerhaft gute Lebensqualität der Menschen auf der Erde. Die Fähigkeit der Ökosysteme, diese Leistungen zu erbringen, verschlechtert sich jedoch weltweit. Materielle Ökosystemleistungen (zum Beispiel Energie, Nahrungs- und Futtermittel), kulturelle Ökosystemleistungen wie Bildung, Inspiration und regulierende Ökosystemleistungen (zum Beispiel Klimaregulation, Wasserqualität, Bestäubung, biologische Schädlingskontrolle) verändern sich unterschiedlich. Die Verbesserung einiger Ökosystemleistungen ist mit der Verschlechterung anderer verbunden. Viele Ökosystemleistungen sind für die menschliche Gesundheit unerlässlich. Ihr Rückgang bedroht die Lebensqualität der Menschen auf der Erde. Die meisten Ökosystemleistungen sind nicht vollständig ersetzbar, einige sind sogar unersetzlich. So wir nicht gegensteuern werden Landnutzungsänderungen und Klimawandel dazu führen, dass sich bis 2050 und darüber hinaus die negativen Trends im Hinblick auf Natur, Ökosystemfunktionen und viele Ökosystemleistungen weiter fortsetzen werden. Der Klimawandel nimmt in seiner Bedeutung weiter zu. Ein Kernelement zum Gegensteuern ist der Erhalt der biologischen Vielfalt, welche die genetische Vielfalt, die Vielfalt der Arten und die der Ökosysteme umfasst.
In der genetischen Vielfalt liegt das Evolutionspotential der Arten
Es reduziert das Aussterberisiko einer Art, da es innerhalb einer Art immer auch Individuen gibt, die mit Veränderungen der Rahmenbedingungen, wie z. B. dem Klimawandel, besser zurechtkommen als der Durchschnitt aller Populationen einer Art. Im Prinzip gilt das dann genauso auf der Ebene der Arten. Je mehr Arten einer Gruppe wir haben, umso höher ist die Chance, dass eine für die andere unter veränderten Bedingungen einspringen kann.
Beispiel Bienen. Das Vorgenannte ist wichtig bei der Betrachtung der Bienenarten jenseits der Honigbiene. Die Honigbiene ist bei uns ja nur eine von hunderten verschiedener Bienenarten. Während es der Honigbiene recht gut geht – das ist für ein Nutztier auch nicht so überraschend –, also ihre Bestände nicht gefährdet sind, ist die Lage bei den Wildbienen wesentlich kritischer. Etwa die Hälfte der Wildbienenarten ist im Rückgang begriffen und somit gefährdet. Je mehr Arten wir verlieren, umso geringer ist das Potential, dass bei veränderten Bedingungen eine geeignete Art einspringen kann. Dies ist bei praktisch allen Ökosystemleistungen relevant, ist aber bei der Bestäubung besonders offensichtlich.
Biodiversität ist wie eine Versicherung
Bei der Sicht auf die Biodiversität als Versicherung geht es ja nicht so sehr um den direkten monetären Schadensausgleich durch die Solidargemeinschaft der (menschlichen) Versicherungsnehmer. Es betrifft bereits die Behebung einer Schadensursache bzw. die Minderung des Risikos beim Ausfall einer Art oder Varietät, wenn sie durch eine andere Art oder Varietät funktional zumindest in erheblichen Anteilen ersetzt werden kann. Also wird der Schaden oder das Risiko durch den Eintritt einer Art für eine andere begrenzt – und zwar auch in seinen ökonomischen Folgen für den Menschen. Das hatte ich schon am Beispiel der Bienen angerissen, deren weltweiter Beitrag zur menschlichen Ernährung einen monetären Wert von mehreren hundert Milliarden Euro pro Jahr aufweist.
Ein anderes Beispiel ist die Banane. Die heute sehr gängige Sorte „Cavendish“ war einst als Ersatz für eine andere von Pilzen betroffene Sorte, gewissermaßen zur Schadensabwendung im großen Stil angebaut worden. Doch jetzt ist sie selbst bedroht – wiederum durch einen Pilz, der sogenannten Panamakrankheit TR4. Lösungen für dieses Problem könnten resistente, genetisch veränderte Bananen sein. Häufig ist aber bei resistenten Sorten über kurz oder lang eine Anpassung des „Schadorganismus“ – hier also des Pilzes – zu beobachten, der diese Resistenzen dann überwindet, insbesondere wenn diese auf großen Flächen als Monokulturen angebaut werden. Ein diversifizierter Anbau mit einer größeren Sortenvielfalt ist viel weniger anfällig, da die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass er Varietäten beinhaltet, denen der Schädling nicht so viel anhaben kann. Eben jene Varietäten stellen die Basis der Zukunftsversicherung dar.
Die Vielfalt des Lebens ist Teil der Solidargemeinschaft, die in Schadensfällen eintritt, die durch Klimawandel, Parasiten oder Ackergifte verursacht wurden. Dieser Eintritt erfolgt durchaus auch zum Nutzen des Menschen als Forcierung einer Ökosystemleistung. Beispielsweise konnten wir in den letzten Jahrzehnten zeigen, dass bewässerter Reisanbau in Asien keine großen Schädlingsprobleme hat, solange – und das ist zunächst kontraintuitiv – nicht gegen Schädlinge gespritzt wird[1]. Der Einsatz von Insektiziden zerstört die Vielfalt der Nützlinge. Zudem ermöglicht er den Schädlingen eine beschleunigte Erholung ohne Feinde und dadurch entsprechendes Wachstum. Dies führt erst zu gravierenden Ausbrüchen und dann zu Verlusten. Die Vermeidung von Insektiziden hat in diesem System die Bewahrung einer hohen Artenvielfalt zur Folge, die immer viele Arten umfasst, welche als Gegenspieler der Schädlinge aktiv werden können. Insofern also der Erhalt von Biodiversität eine Zukunftsversicherung darstellt, hat der Mensch die Option die Verpflichtung übernehmen, die Diversität des Lebens aktiv zu schützen und kann damit grundlegend sein Verhältnis zur und Verständnis von „Natur“ verändern. Letzteres ist eine zentrale Komponente des transformativen Wandels, den wir im Rahmen unseres globalen Assessments als Basis für eine zukunftsorientierte Entwicklung herausgearbeitet haben. „Wir“ umfasst in diesem Falle auch die Staatengemeinschaft, denn das Dokument ist in Ko- Produktion der Wissenschaftlichen Community mit den Regierungsdelegationen im Konsens verabschiedet worden[2].
Insektentrends: zwei unterschiedliche Betrachtungen
Das Thema Insekten ist mittlerweile sehr breit in Medien und Öffentlichkeit angekommen, und dies fast ausschließlich in Verbindung mit ihrem Rückgang, also dem sog. „Insektensterben“. Dass es aber gleichzeitig auch ganz andere Trends gibt, wird spätestens dann klar, wenn man sich bewusst macht, dass beispielsweise Schwammspinner, Borkenkäfer und Prozessionsspinner ja auch Insekten sind. Der Begriff Insektensterben dürfte vor allem durch die Ergebnisse der „Krefelder Studie“ im Herbst 2017 an Fahrt aufgenommen haben, die über einen Verlust von ¾ der Biomasse fliegender Insekten vor allem aus Naturschutzgebieten Nord-West Deutschlands berichtete[3]. Die Arbeiten des Entomologischen Vereins Krefeld, der seit 1989 an zahlreichen Standorten v.a. in Nordrhein-Westfalen standardisiert Fluginsekten erfasst, haben hiermit überregional, wenn nicht sogar global, Aufsehen erregt; dies auch weil das Neue an der Studie war, dass sie über 27 Jahre ging und es bis dahin zur Biomasse, bzw. zur Gesamtzahl anwesender Insektenindividuen, weniger als eine Hand voll weiterer Arbeiten gab, die Ergebnisse aus mehr als 15 Jahren umfassten.
Biomasse und Artenzusammensetzung. Wenn wir von Trends bei Insekten sprechen, gilt es zunächst zwei grundsätzlich verschiedene Betrachtungsebenen zu beachten, die in den letzten Monaten gerne vermischt wurden: a) die Biomasse, also das Gewicht einzelner bzw. aller Individuen einer Gruppe oder auch aller Insekten und b) die Veränderung bei Artenzusammensetzungen und der Häufigkeit einzelner Arten. Bislang war letzteres die Regel – wir hatten also vor allem die Trends einzelner Arten innerhalb bestimmter Insektengruppen im Fokus, die als Grundlage für die Einschätzung der Gefährdung von Arten an sich dienen und beispielsweise auch zur Beurteilung des Erfolges von Schutzmaßnahmen. Angaben zur Häufigkeit von Insekten sind aber essentiell, wenn es um Veränderungen von Ökosystemfunktionen und -leistungen durch Insekten geht. So sind die Anzahl adulter Tiere bei Bestäubung und biologischer Schädlingsbekämpfung wichtig sowie die Biomasse aller Stadien, wenn es um die Zersetzung oder um Nährstoff-Zyklen sowie als Nahrungsgrundlage für insektenfressende Tiere geht.
Neben den systematischen Erfassungen über die bislang noch vergleichsweise wenigen Monitoring-Projekte erfolgt die Einstufung der Gefährdung von Pflanzen und Tieren (inkl. Insekten) seit vielen Jahrzehnten über die Roten Listen, die nach wie vor das Hauptinstrument für die Einschätzung der Gefährdung von Arten darstellen. Dabei handelt es sich um Experten-Einschätzungen zur kurz- wie langfristigen Entwicklung der Bestände.
Trendwende
Die Reduktion der bekannten Ursachen wäre also Ausgangspunkt für eine Trendwende. Voraussetzung dafür wäre, dass ein solches Ziel einen gesellschaftlichen Konsens darstellte und wir alle uns gemeinsam um Lösungen bemühen. Ebenso wichtig ist es aber auch stets den aktuellen Stand des Wissens zu berücksichtigen, denn das hilft auch für effiziente Gegenmaßnahmen. Während dem Rückgang der Arten und Artenvielfalt kaum Ergebnisse gegenüberstehen, die Zunahmen zeigen würden, ist das Bild bei der Betrachtung der Biomasse mittlerweile differenzierter. Insgesamt scheinen sich die negativen Trends auf dem Land zu bestätigen, wobei die Rückgänge aus der Krefelder Studie wohl die extremsten Werte zeigen. Bei Insekten die im Wasser leben (also in Flüssen und Seen), wie z. B. Mücken oder Eintagsfliegen, zeichnet sich hingegen ein anderes Bild ab und wir können mehr Zunahmen als Abnahmen der Biomassen beobachten, wie z. B. eine neue Studie zeigt, die vor Kurzem in der Zeitschrift Science erschienen ist[6].
Konkrete Maßnahmen gegen den Rückgang von Insekten, von denen viele auch in engem Bezug zur Landwirtschaft stehen, umfassen u. a. verbesserte Bedingungen für Bestäuber und/oder Bestäubung, Verbesserung der Beziehung der Gesellschaft zur Natur und die Ökologisierung der Landwirtschaft mit stärkerer Berücksichtigung der Ökosystemleistungen. Zu Letzterem zählt z. B. die Förderung von Direktsaatverfahren (Aussaat ohne Bodenbearbeitung), Beteiligung von Landwirten und Gemeinden bei Planung, Gestaltung und Nutzung von Landschaften, Förderung des integrierten Pflanzenschutzes (bei dem natürliche Mechanismen prioritär genutzt werden und nur wenn diese nicht ausreichend wirksam werden, auf synthetische Mittel zurückgegriffen wird), Unterstützung traditioneller Fruchtfolgen und kleinstrukturierter Vielfalt von Lebensräumen, Stärkung existierender diversifizierter Anbausysteme (z. B. Unterstützung des Bioanbaus), Investitionen in ökologische Infrastruktur (z. B. Wiederherstellung naturnaher Lebensräume, Lebensraumverbund, großräumige Landnutzungsplanung für eine strukturelle und biokulturelle Vielfalt von Lebensräumen).
Eine wichtige Voraussetzung für eine Trendwende besteht meines Erachtens aber vor allem im offenen Austausch und gegenseitigen Respekt der beteiligten Akteure, also von uns allen.
Weiterführende Arbeiten:
Hansjürgens, B., Schröter-Schlaack, C., Settele, J., (2019): Zur ökonomischen Bedeutung der Insekten und ihrer Ökosystemleistungen. Natur und Landschaft 94 (6/7), 230 – 235.
Settele J (2019): Insektensterben – beunruhigender Sinkflug. Spektrum der Wissenschaft 5/2019, 12-21.
Settele, J., (2019): Bestandsentwicklungen und Schutz von Insekten : Analysen und Aussagen des Weltbiodiversitätsrats (IPBES). Natur und Landschaft 94 (6/7), 299 – 303.
Text: Prof. Dr. Josef Settele
Department Biozönoseforschung
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Theodor-Lieser-Straße 4
D-06120 Halle
Josef.Settele@ufz.de
[1] Settele J, Settle WH (2018) Conservation biological control: Improving the science base. PNAS 115, 8241-8243.
[2] IPBES. 2019. Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. IPBES, Bonn.
[3] Hallmann et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PloS one 12, e0185809.
[4] IPBES 2019. Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. IPBES, Bonn.
[5] Vanbergen et al 2019. Science of the Total Environment 695 (2019) 133833.
[6] Van Klink et al 2020. Science 368, 417–420.