2022: Hartwiß Gelbe Zwetschke

Streuobstbestände sind vielfältige und unersetzliche Lebensräume in unserer Kulturlandschaft. In den Streuobstgärten wird die traditionelle Obstsortenvielfalt erhalten und sie liefern wertvolles Tafel- und Verarbeitungsobst. Mit der „Streuobstsorte des Jahres“ wird eine Sorte stellvertretend für alle gefährdeten Obstarten ins Rampenlicht gerückt. Hartwiß Gelbe Zwetschke ist die Botschafterin der Vielfalt 2022. Die „Streuobstsorte des Jahres“ ist eine Initiative der ARGE Streuobst, der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Streuobstbaus und zur Erhaltung obstgenetischer Ressourcen.

© Siegfried Bernkopf

Beschreibung
„Hartwiß Gelbe Zwetschke“ ist auf Grund der charakteristischen Fruchtform – mit einer zitzenartigen Mündung beim Stielansatz und einem „Schwangerenbauch“ in der Seitenansicht – nahezu unverwechselbar. Sie weist ein sortentypisches Aroma auf und das Fruchtfleisch lässt sich leicht vom Stein lösen. Damit ist sie eine beliebte Sorte für den Frischverzehr, aber auch in der Küche bzw. bei der Herstellung von hochwertigen Destillaten ausgezeichnet verwendbar.

Historisches
Der Blick in die alten Sortenbücher, also in die Pomologien des 18. und 19. Jahrhunderts, zeigt eine fast unvorstellbare Vielfalt an Zwetschken und Pflaumensorten, mit einer Fülle an Formen und Farben. Heute sind hingegen meist nur mehr einige wenige, vorwiegend blau-violette Sorten verbreitet.
„Hartwiß Gelbe Zwetschke“ wurde um 1838 vom Apotheker und Pomologen Georg Liegel (1779-1861) in Braunau/Inn (OÖ) aus Fruchtsteinen der Sorte „Gelbe Frühzwetsche“ gezogen. Er widmete die Sorte seinem Pomologenkollegen Nicolai Anders Hartwiß (1793-1860), dem Direktor der kaiserlich-russischen Gärten in Nikita auf der Krim. Liegel beschrieb die Sorte erstmals 1846, eine weitere ausführliche Beschreibung erfolgte 1861 durch den deutschen Pfarrer und Pomologen J. G. C. Oberdieck.

Verbreitung
Von den vielen Pflaumenzüchtungen Georg Liegels schien bis vor wenigen Jahrzehnten nichts erhalten geblieben zu sein. Um 1988 wurde in Wallern im Hausruckviertel (OÖ) eine gelbe Zwetschke mit dem Namen „Goldtropfen“ entdeckt. Leider wurde der alte Baum gefällt, bevor Reiser geschnitten werden konnten. Vor wenigen Jahren wurde ein alter Baum derselben Sorte in Lasberg im Mühlviertel (OÖ) gefunden. Die Sorte wurde an mehreren Standorten abgesichert und pomologisch sowie molekulargenetisch geprüft. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei nicht, wie zunächst vermutet, um die Sorte „Coes Golden Drop“ handelt, sondern um „Hartwiß Gelbe Zwetschke“. Die Gen-Analyse brachte eine Übereinstimmung mit einem deutschen Vergleichsmuster. Pomologisch waren geringe Abweichungen festzustellen, insbesondere beim Fruchtstein.

Bäume von Hartwiß Gelber Zwetschke sind ab Herbst 2022 bei folgender Baumschule erhältlich: Andreas Ranseder, A-4974 Ort im Innkreis 126, Tel.: 0676/4771836

Text: S. Bernkopf & C. Holler

Hartwiß Gelbe Zwetschke – Pomologische Beschreibung
von Dr. Siegfried Bernkopf
(siegfried.bernkopf@aon.at)

Synonyme: in Oberösterreich fälschlich „Goldtropfen“

Herkunft, Verbreitung: von G. Liegel um 1838 aus Fruchtsteinen der „Gelben Frühzwetsche“ gezogen, 1846 erstmals beschrieben und Nicolai Anders Hartwiß in Nikita (Krim) gewidmet

Frucht
Größe: mittelgroß (38,2–42,1 mm hoch; 27,3–30,7 mm breit; 31,7–34,9 mm dick); 16,9–22,6 g schwer
Form: Vorderansicht: schmal oval bis oval; meist mit stumpf halsartigem, bis zitzenförmigem Stielansatz; teils ungleichhälftig, stiel- bis mittelbauchig; Naht nicht, bis mäßig auffällig, meist nicht eigefurcht; Seitenansicht: charakteristisch starke einseitige Wölbung (Bauch); Stempelseite: Stempelpunkt klein, hellbraun, meist aufsitzend
Haut: mitteldick, mittelgut abziehbar, mittelzäh, säuerlich, gering duftend; vollreif goldgelb mit teils geringer helloranger verwaschener Deckfarbe, dünn weißlich bereift
Stielbucht: flach, eng; Rand glatt
Stiel: kurz bis mittellang, 15–22 mm, dünn bis mitteldick, hellgrün und oft graubraun gesprenkelt
Fleisch: gelb bis orangegelb, mittelfest, mäßig saftig; säuerlich-süß, mittelstark gewürzt; meist gut steinlösend; Zuckergehalt: 13,8–14,8 °KMW; 67–72 °Oechsle; 15,8–16,9 °Brix
Fruchtstein: klein bis mittelgroß; Länge: 20,5–22,8 (ø 21,7) mm; Breite: 7,1–8,4 (ø 7,5) mm; Dicke: 11,4–12,9 (ø 12,1) mm; Seitenansicht: unregelmäßig oval, schief verzogen, Stielansatz schmal ausgezogen und meist gegen den Rücken gedreht; stempelwärts stärker verjüngt; gegen Bauchwulst mittelstark eingesenkt; Oberfläche glatt; Vorderansicht: schmal oval; Bauchwulst mittelbreit, flach, Mittelkamm selten und nur gering hervortretend; Rückenansicht: Rückenfurche sehr schmal

Reifezeit: mittelspät; Mitte August am Standort Lasberg (Mühlviertel, OÖ, ca. 580 m ü. A.)

Verwendung: Tafelfrucht, Küche, Schnaps

Baum: Wuchs mittelstark, Krone kugelig, später hoch kugelig

 

Sämtliche Inhalte (Fotos ausschließlich mit Copyright) dürfen für Berichte über die Arten des Jahres verwendet werden. Wir freuen uns über ein Belegexemplar!

 

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