2023: Ammendornfinger

Cheiracanthium punctorium (Villers, 1789)

  • gehört zur Familie der Dornfingerspinnen
  • lebt vor allem in der Kraut- und Strauchschicht warmer, offener Lebensräume


Der Ammendornfinger, Cheiracanthium punctorium (Villers, 1789), gehört zur Familie der Dornfingerspinnen (Cheiracanthiidae). Diese Spinnenfamilie zählt weltweit 363 Arten, von denen in Europa 35 bekannt sind. In der Gattung Cheiracanthium (Echte Dornfinger) gibt es in Deutschland 12, in Österreich 10 und in der Schweiz 7 Arten.

© Wolfgang Kairat

Verbreitung, Lebensraum und Gefährdung
Der Ammendornfinger ist paläarktisch verbreitet, von Europa bis Zentralasien. In Mitteleuropa bzw. Österreich ist die Art vornehmlich an die planar-kolline Höhenstufe (bis 800m Seehöhe) gebunden, es gibt aber auch Nachweise in höheren Lagen (bis zu 1000m). Cheiracanthium punctorium lebt vor allem in der Kraut- und Strauchschicht warmer, offener Lebensräume, kann aber auch an feuchten Stellen in wenig genutzten Wiesen gefunden werden; in Österreich gilt die Art als nicht gefährdet, in Deutschland steht sie in einigen Bundesländern auf der Roten Liste.

Beschreibung
Die Körperlänge von Cheiracanthium punctorium beträgt bei Weibchen 10 – 15 mm, die Männchen sind mit 7,5 – 12 mm etwas kleiner. Der Vorderkörper ist grünlich-braun, kann mitunter aber auch völlig orange-rötlich gefärbt sein. Die sehr kräftigen und langen Chelizeren besitzen rote Grundglieder und die Klaue weist eine schwarze Spitze auf. Der blass gelb-grünliche Hinterleib ist oft mit einem dunklen Spießfleck versehen, der bis zur Mitte des Hinterleibs reichen, jedoch auch gänzlich fehlen kann. Die gelblichen Beine weisen schwarze Spitzen auf. Das erste Beinpaar ist verlängert, wodurch man Dornfingerspinnen der Gattung Cheiracanthium recht gut von Sackspinnen der Gattung Clubiona unterscheiden kann, mit denen man sie auf den ersten Blick durchaus verwechseln könnte.

Lebensweise
Die vorwiegend nachtaktiven Tiere bauen zum Beutefang keine Netze. Sie schleichen sich an ihre Beutetiere heran und überwältigen sie mit einem Giftbiss. Der Ammendornfinger kann aufgrund seiner Größe und der kräftigen Chelizeren auch große Insekten, wie Heuschrecken oder Gottesanbeterinnen überwältigen. Die Tiere verbringen den Tag über in kugeligen Ruhegespinsten, meist in krautiger Vegetation, in Gestrüpp oder unter Steinen. Man findet sie vorwiegend in ungenutzten Offenlandbiotopen vor allem im hohen Gras und in Hochstauden; man kann sie aber gelegentlich auch an Waldlichtungen, Ackerbrachen und Wiesen, sowie an Weg-, Grabenrändern und Bahndämmen antreffen.

Im Hochsommer bauen die subadulten Weibchen auffällige, hühnereigroße Brutgespinste, die mit Grashalmen, Blättern oder Stängeln verwoben werden. Gleich daneben spinnen reife Männchen ihr Ruhegespinst und sobald die Reifehäutung des Weibchens erfolgt ist, durchbricht das Männchen die Wand zwischen den beiden Gespinsten und es kommt zur Paarung. Dann erfolgt darin im August die Ablage von ca. 80-300 Eiern in einen Kokon. In diesem Zeitraum werden die Gespinste vom Weibchen sehr vehement/aggressiv verteidigt. Das Bild einer Amme, die sich schützend vor die ihr anvertrauten Kinder stellt, mag einem in den Sinn kommen, wenn man an eine solche Szene denkt, die dieser Spinne auch Ihren deutschen Namen eingetragen hat. „Dornfinger“ selbst bezieht sich auf einen langen, dünnen Dorn, den die Männchen an ihrem Taster tragen.

Die Jungspinnen schlüpfen 3-5 Wochen später aus dem Kokon, etwa im Zeitraum von Mitte September bis Anfang Oktober, verlassen danach das Gespinst und überwintern in selbstgebauten, bodennahen Gespinsten, die einen ungefähren Durchmesser von etwa 5 mm aufweisen.

Erwachsene Ammendornfinger sind vor allem von Juni bis Oktober aktiv.

Giftwirkung
Der Ammendornfinger kann Menschen tatsächlich beißen, das heißt, er kann mit seiner Chelizerenklaue die Haut des Menschen durchdringen und dabei Gift injizieren. Die versteckte Lebensweise des Ammendornfingers, meist weitab von menschlichen Wohnungen, macht jedoch einen Biss beim Menschen relativ unwahrscheinlich. Derartige seltene Zwischenfälle ereignen sich vor allem dann, wenn man versucht, das Tier zu fangen oder es versehentlich quetscht. Der Biss verursacht einen sofortigen stark brennenden Schmerz, der sein Maximum nach 5-20 Minuten erreicht und für einige Stunden anhalten kann. Die Schmerzintensität wird von Betroffenen meist mit einem Wespenstich verglichen. Der Biss kann Symptome wie moderate lokale Anschwellung, Rötung, Juckreiz, Übelkeit und leichtes Fieber auslösen. Nekrotische Hautveränderungen werden nicht verursacht. Wie bei allen Wunden kann sich diese allerdings entzünden und in weiterer der Folge zu Schädigungen der betroffenen Hautregion führen. Bei Bedarf ist eine symptomatische Therapie empfohlen.

Ähnliche Arten
Von seinen in Mitteleuropa verwandten Arten kann man den Ammendornfinger recht gut aufgrund seiner prominenten Färbung und seiner auffälligen Größe unterscheiden. Verwechslungen können sich allenfalls mit ähnlich großen Arten aus der Familie der Sackspinnen (Clubionidae) ergeben.

Warum wurde der Ammendornfinger zur Europäischen Spinne des Jahres gewählt?
Einerseits gab es aus dieser Spinnenfamilie noch nie einen Vertreter als Spinne des Jahres, andererseits wird diese Art relativ häufig in den Medien genannt, weil sie auch mit Bissfällen in Verbindung gebracht und daher als medizinisch relevant angesehen wird. Sehr oft sind es aber nur Vermutungen; umso wichtiger ist es daher, entsprechende Fälle zu dokumentieren und generell Fakten über diese Spinne aufzuzeigen, um unbegründete Furcht zu vermeiden.

Mit der Wahl der Spinne des Jahres soll aber nicht nur eine „wenig beliebte“ Tiergruppe ins rechte Licht gerückt und auf bedrohte Lebensräume – in diesem Fall offene trockene Standorte wie Wiesen, Weiden, Steppenrasen – hingewiesen werden, sondern gleichzeitig erhoffen sich die Wissenschaftler, Daten zur aktuellen Verbreitung zu bekommen. In diesem Sinne: erfreuen Sie sich an der Spinne des Jahres und helfen Sie mit ihrer Fundmeldung oder ihrem Foto bei der Dokumentation dieser Art.

Gewählt wurde die „Europäische Spinne des Jahres“ von 84 Arachnologen aus 27 europäischen Ländern. Die Koordination der Wahl liegt beim Naturhistorischen Museum Wien, in Zusammenarbeit mit der Arachnologischen Gesellschaft (AraGes) und der European Society of Arachnology (ESA).

Text: Christoph Hörweg

Sämtliche Inhalte (Fotos ausschließlich mit Copyright) dürfen für Berichte über die Arten des Jahres verwendet werden. Wir freuen uns über ein Belegexemplar!

 

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