| naturschutzbund | - Forderungen für einen dringend nötigen Bestäuberschutz
Ausgeräumte Landschaften, häufige Mahd, Überdüngung auch durch Eintrag aus der Luft, große Bewirtschaftungseinheiten, Pestizideinsatz, Bodenversiegelung, schlechter Zustand der Wasserlebensräume, Lichtverschmutzung und eine Vielzahl steriler Gärten ohne Naturvielfalt – den Insekten wird das Überleben seit Jahrzehnten immer schwerer gemacht. Inzwischen wird ein massives Insektensterben offensichtlich, das in der Folge dramatische Auswirkungen auf unser aller Leben haben wird. Bestäubende Insekten sind ein kleiner, aber ökologisch sehr wichtiger Teil der Insektenfauna. Auch sie sind von einem massiven Rückgang betroffen. Deshalb müssen jetzt Maßnahmen ergriffen werden, um das Verschwinden der Insekten zu stoppen bzw. deren Situation zu verbessern. Der Naturschutzbund Österreich hat sechs Forderungen erarbeitet, die den Fortbestand der Insektenfauna und ihrer wertvollen Leistungen für Mensch und Natur gewährleisten sollen.
Unschätzbar. Unersetzbar.
Bestäubende Insekten sind für den Naturhaushalt ebenso relevant wie für die Sicherung unserer Ernährung. 87 der 109 weltweit wichtigsten Kulturpflanzen hängen von tierischer Bestäubung ab. Die Bestäubungsleistung in Österreich wird auf jährlich 300 bis 650 Millionen Euro geschätzt. Vor allem Wildbienen haben hier eine Schlüsselrolle, da ihre Bestäubungsleistung und vor allem ihre Bestäubungsqualität durch Honigbienen nicht ersetzt werden kann. Etwa 700 verschiedene Wildbienenarten gibt es in Österreich – noch. Fast die Hälfte davon ist im unterschiedlichen Maße gefährdet. Es fehlt ihnen an Nahrung und Nistmöglichkeiten. Bedrohlich ist vor allem der Rückgang in der intensiv genutzten Fläche, der dazu führt, dass Arten oft nur mehr in fragilen Reliktpopulationen überleben, die allzu leicht infolge von lokalen Schlechtwetterereignissen und genetischer Verarmung aussterben können.
Wir müssen dringend handeln!
Um die Lebensbedingungen heimischer Insekten zu verbessern, appelliert der Naturschutzbund sowohl an die Bundesregierung als auch an die Landesregierungen und Gemeinden, schnellstmöglich die dafür notwendigen Schritte zu ergreifen. Dafür ist eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten aus Politik, Industrie, Landwirtschaft, Naturschutz, Wissenschaft und Gesellschaft erforderlich. Anstatt gegenseitiger Zuweisungen der Verantwortung bedarf es eines gemeinsamen gesellschaftlichen Kraftaktes. Eine wichtige Rolle kommt auch der Bevölkerung zu. Jeder und jede Einzelne entscheidet mit dem eigenen Konsumverhalten mit, ob wir eine Chance haben, das Insektensterben aufzuhalten.
Deshalb fordert der Naturschutzbund:
Artenreiche Lebensräume und solche mit seltenen Arten erhalten bzw. schaffen
Strukturvielfalt in der Landschaft erhöhen
Pestizidanwendung in der Land- und Forstwirtschaft auf ein Minimum reduzieren und auf anderen Flächen ganz darauf verzichten
Nährstoffeinträge vermindern und auf sensiblen Flächen vermeiden
Natur im Siedlungsraum fördern
Forschungs- und Bildungsoffensive starten
Artenreiche Lebensräume und solche mit seltenen Arten erhalten bzw. schaffen
Noch vorhandene Lebensräume mit großer Artenvielfalt sowie mit seltenen Arten stellen letzte Reste einer ehemals großflächigen naturnahen bzw. extensiv genutzten Landschaft dar. Diese schutzwürdigen und teilweise geschützten Lebensräume müssen unbedingt erhalten sowie erweitert und miteinander vernetzt werden. Das kann beispielsweise durch Vertragsnaturschutz und Schaffung von Schutzgebieten erreicht werden.
Der Naturschutzbund fordert:
Erhaltung und Vergrößerung von Magerwiesen und anderen naturschutzfachlich wertvollen Flächen sowie Vernetzung dieser miteinander. Unterstützung dieser Naturschutzleistungen durch angemessene Förderungen, v.a. auch aus dem Agrarsektor.
Gezielter Ankauf naturschutzfachlich wertvoller Flächen als Überlebensinseln, wenn deren Erhalt durch die Eigentümer nicht gewährleistet ist, sowie Erhöhung des Anteils an Naturschutzflächen.
Erarbeitung von Managementplänen, die auch die Ansprüche der verschiedenen Insektengruppen berücksichtigen, und verbindliche Festsetzung dieser.
Ausreichend Ressourcen für die Gebietsbetreuung und die Umsetzung der Managementpläne.
Keine Pestizide und Düngung auf naturschutzfachlich wertvollen Flächen und deren Umgebung (Pufferzonen).
Raum für natürlich ablaufende Prozesse in Schutzgebieten: Vom mäandrierenden Fluss bis zur Zersetzung toter Tiere und Pflanzen (Alt- und Totholz).
Erhaltung und Wiederherstellung naturnaher Gewässer und ihrer Auen als Lebensraum für gewässer-, kiesflächen- und auentypische Insekten.
Das Ziel lautet: Naturschutzfachlich wertvolle Lebensräume und natürliche Prozesse müssen erhalten werden, sodass Tiere, Pflanzen und Pilze optimale Lebensbedingungen vorfinden.
Strukturvielfalt in der Landschaft erhöhen
Viele Tier- und Pflanzenarten der Kulturlandschaft haben ihre Rückzugsräume verloren, auch die blütenbesuchenden Insekten gehören dazu. Gründe dafür sind intensive Bewirtschaftung des Agrarlandes, das Beseitigen von Kleinstrukturen und Zusammenlegen von Feldern, häufige Mahd, das Umwandeln von Grünland in Ackerflächen etc. Überdüngung und Spritzmitteleinsatz tun ein Übriges.
Der Naturschutzbund fordert:
Erhaltung, naturnahe Gestaltung sowie Neuanlage von Feldrainen, Hecken, Einzelbäumen, Blühstreifen, Brachen, ungeteerten Feldwegen, Wegrändern, Hohlwegen, Abbruchkanten, Lesesteinmauern, Uferstreifen und anderen Strukturen. Dauerhafte Schaffung von Strukturen inmitten der Äcker und Wiesen.
Stopp der Grünlandverluste, Schutz und Förderung besonders sensibler, extensiv genutzter Wiesen.
Düngung und Mahdintensität reduzieren, Staffelung der Mahd, Vermeidung von Mulchgeräten, Mähaufbereitern und rotierenden Saugmähern, Bevorzugung von Balkenmähern.
Informationsoffensive für land- und forstwirtschaftliche BeraterInnen und LandwirtInnen, um sie von der Notwendigkeit der Strukturvielfalt zu überzeugen.
Gestaltung einer Agrarpolitik und von Agrarumweltprogrammen, die mehrjährige Blühstreifen und standorttypische Wildkräutersaaten regionaler Herkunft unterstützen. Kein Einsatz konkurrenzstarker, nichtheimischer Pflanzen.
Attraktive und zielorientierte Förderungen für diese Maßnahmen. Direktzahlungen müssen in der kommenden Förderperiode der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik an ökologische Leistungen gekoppelt werden.
Das Ziel lautet: Eine blütenreiche und kleinstrukturierte Kulturlandschaft muss wiederhergestellt werden, wertvolle Insektenlebensräume müssen wieder entstehen können.
Pestizidanwendung in der Landwirtschaft auf ein Minimum reduzieren und auf anderen Flächen ganz darauf verzichten
Der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide belastet Natur, Umwelt und die Gesundheit der Menschen. Insektizide töten Wildbienen und andere Insekten direkt, während Pflanzengifte vorwiegend ihre Lebensgrundlage zerstören, indem sie Wildkräuter ausrotten.
Der Naturschutzbund fordert:
Totalverbot von Neonicotinoiden
Überarbeitung des Nationalen Aktionsplans Pflanzenschutz: Es braucht konkrete Reduktionsziele für Pestizide, unabhängige Beratung, wirksame Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten. Auch über die Einführung einer zweckgebundenen Pestizidabgabe muss sachlich diskutiert werden.
Verbot von Werbung für Pestizide.
Forcierung und weiterer Ausbau des Biolandbaus.
Kein Pestizideinsatz auf sensiblen Flächen wie in Schutzgebieten, auf artenreichen Wiesen und deren Pufferzonen sowie im Wald, auf Gewässerrandstreifen und außerhalb landwirtschaftlicher Flächen (öffentlich wie privat).
Vorreiterrolle von Bund, Ländern und Gemeinden mit einem Anwendungsverzicht der Öffentlichen Hand für Insektizide und Herbizide, auch als Auflage bei verpachteten Flächen. Einsatz für ein vollständiges Verbot von Neonicotinoiden auch auf EU-Ebene.
Kostenwahrheit bei Pestiziden – die durch Pestizide verursachten Schäden (etwa für Gewässer und Trinkwasser oder durch massiv reduzierte Ökosystemleistungen der Bestäuber) müssen erforscht, monetär bewertet und vom Verursacher bezahlt werden.
Verpflichtendes Randstreifenprogramm im Ackerbau ohne Pestizide und Düngung.
Das Ziel lautet: Eine Landwirtschaft, die weitestgehend ohne die Verwendung von Pestiziden auskommt, und kein Gift auf öffentlichen Flächen und im privaten Bereich.
Nährstoffeinträge vermindern und auf sensiblen Flächen vermeiden
Überdüngung landwirtschaftlicher Nutzflächen sowie Einträge aus der Luft sind weitere maßgebliche Faktoren für den Rückgang der Insekten. Nur wenige Pflanzen tolerieren starken Nährstoffeintrag, die sensiblen verschwinden. Gerade sie sind jedoch wertvolle Lieferanten von Nektar und Pollen für Insekten. Viele Insektenarten vertragen nur ungedüngte Pflanzen bzw. Pflanzen auf Magerstandorten als Nahrung. Deshalb müssen die Nährstoffeinträge in den Boden dringend begrenzt werden, genauso wie deren Eintrag über die Luft.
Der Naturschutzbund fordert:
Einhaltung einer bedarfsgerechten und damit reduzierten Düngung, Sanktionierung von Verstößen gegen die Düngeverordnung, verstärkte ordnungspolitische Berücksichtigung des Verursacherprinzips.
Keine Düngung auf ökologisch sensiblen Standorten wie Trocken- und Magerrasen sowie in Schutzgebieten sowie Einhaltung von Pufferzonen.
Keine Düngung auf Gewässerrandstreifen und auf Waldflächen.
Verstärkte Anstrengungen für eine deutliche Reduktion der Stickstoffeinträge über die Luft. Keine Aufweichung der strengen EU-Reduktionsziele 2030 für Ammoniak und Stickstoffoxide.
Tierhaltung auf sensiblen Standorten in Übereinstimmung mit einem Managementplan, um übermäßigen Nährstoffeintrag zu vermeiden.
Das Ziel lautet: Düngemitteleinsatz nur dort, wo unbedingt notwendig, und nur in Mengen, die die Pflanzen aufnehmen können. Erhalt der sensiblen Magerrasen sowie deren Wiederherstellung durch Aushagerung und vollständigen Verzicht auf Düngung.
Natur im Siedlungsraum fördern
Der Siedlungsraum hat großes Potential zur Förderung der bestäubenden Insektenwelt: Strukturreiche Privatgärten und Parks mit heimischen Wildblumen und Kräutern, Gewerbe- und Industriebrachen sind attraktive Lebensräume für Insekten. Jedoch bieten sterile Gärten und Parks mit getrimmtem Rasen, exotischer Bepflanzung und der Einsatz von Giften den Insekten kaum eine Überlebenschance.
Der Naturschutzbund fordert:
Insektenfreundliches Management des öffentlichen Raumes.
Heimische Blühpflanzen und Regiosaatgut für neue Flächen.
Extensive Pflege von Freiflächen in Parks und Gärten, auf Wiesen und Straßenrändern.
Verbot von chemisch-synthetischen Pestiziden in Siedlungen sowie Haus- und Kleingärten.
Eindämmung der Lichtverschmutzung durch Vermeidung unnötiger künstlicher Lichtquellen und flächendeckende Umstellung auf insektenfreundliche Beleuchtung.
Information, Beratung, Anleitung und Anreize für Private und Gewerbe.
Das Ziel lautet: Siedlungsraum muss ein Lebensraum für Insekten sein.
Forschungs- und Bildungsoffensive starten
Der Kenntnisstand zur Biodiversität der Insekten ist alarmierend gering und muss dringend erhöht werden. Nur so kann man die Ursachen für den Rückgang der Insekten besser erkennen und Lösungsansätze entwickeln. Es braucht ein neues Bewusstsein, das die Vielfalt in privaten Gärten und öffentlichen Grünanlagen als einen Wert an sich begreift.
Der Naturschutzbund fordert:
Verstärkte Forschung zum Wildbienenschutz und Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls für Bestäuber.
Erarbeitung Roter Listen der Wildbienen Österreichs (gibt es bisher nur für Kärnten) sowie auch für andere Insektengruppen. Die wenigen bestehenden Roten Listen sind veraltet und methodisch nicht am aktuellen Stand. Sie müssen dringend überarbeitet und regelmäßig aktualisiert werden.
Umweltbildung von Kindesbeinen an, beginnend in Kindergärten und Schulen.
Universitäre und berufsbildende Aus- und Fortbildung zum Thema Insektenförderung und Biodiversität, insbesondere Stärkung der systematisch-taxonomischen und praxisrelevanten ökologischen Ausbildung.
Unabhängige Beratung für LandwirtInnen.
Bewusstseinsbildung, umfassende Information und Beteiligungsprojekte für die ganze Bevölkerung.
Bessere Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis.
Das Ziel lautet: Grundlagen zu und Zusammenhänge zwischen den lokalen Artengemeinschaften müssen besser bekannt sein. Ökologische Grunderfordernisse müssen in der Agrarlandschaft sichergestellt werden. In der Bevölkerung muss ein Umdenken initiiert und begleitet werden, damit ihr Engagement für Natur und Umwelt gestärkt wird. Umweltbildung für Erwachsene beinhaltet die Schaffung eines vielfältigen Bildungsprogramms durch NGOs, Museen und Schutzgebietsverwaltungen, Citizen Science-Projekte etc.
| naturschutzbund | Österreich, beschlossen im April 2019