Die Alpen bieten Lebensraum für zahlreiche spezialisierte Pflanzen und Tiere, die anderswo nicht vor- kommen. Sie bedecken knapp zwei Drittel Österreichs und sind das am intensivsten genutzte Gebirge der Welt. Die enge Verzahnung von Kultur- und Naturlandschaft hat zu einer hohen biologischen Vielfalt beigetragen.
Dabei spielt die Almwirtschaft, eine jahrhundertealte Form der Landnutzung, in Österreich eine zentrale Rolle. Derzeit werden rund 3,7 Prozent der Landesfläche auf diese Art bewirtschaftet. Wird die Bewei- dung von Almwiesen standortgerecht und mit ausgewogener Nutzungsintensität durchgeführt, trägt sie lokal zur Biodiversität und zur Erfüllung wichtiger Ökosystemleistungen bei. Intakte Wiesen mit hoher Biodiversität können Bodenerosion und Schneerutschungen verhindern und haben eine höhere Boden- Wasserspeicherkapazität.
Angesichts des Fortschreitens von Klimakrise, Artenschwund und Verlust landschaftlicher Vielfalt ge- winnt die nachhaltige Nutzung von Almflächen zunehmend an Bedeutung. Eine standortangepasste Bewirtschaftung der Almen liegt deshalb im Interesse der Gesellschaft. Gleichzeitig ist die Almbewirt- schaftung von großem Aufwand geprägt und für Intensivierung ungeeignet. Schon allein deshalb ist dieser Bereich der Landwirtschaft stark vom Strukturwandel und seinen Folgen betroffen. Eine moderne Agrarförderung muss diesen Herausforderungen in ihrer Gesamtheit Rechnung tragen.
Aus Naturschutzsicht werden die Almwiesen in Österreich durch den weitgehend üblichen freien Wei- degang heute oft nachteilig beweidet. Beim freien Weidegang können Tiere gemäß ihren Vorlieben fressen. Schafe zieht es zum Beispiel ganz nach oben, teilweise auch in sensible Bereiche, in denen seltene und geschützte Pflanzenarten und Biozönosen leben (alpine Rasengesellschaften). Dort kommt es schnell zur Übernutzung. Gleichzeitig werden die unteren Almbereiche nicht ausreichend beweidet, sie verbuschen. Frei weidende Rinder können leicht in ungeeigneten Flächen wie z.B. trittempfindlichen Feuchtflächen weiden, was Erosion durch Viehtritt begünstigt. Dazu kommt, dass günstig gelegene Almbereiche aus wirtschaftlichen Gründen intensiver und mit größeren und schwereren Rinderrassen genutzt werden. Das führt zu Überdüngung und Verunkrautung der Almweiden und erhöht die Erosi- onsgefahr durch Trittschäden. All dies ist der in den Bergen von Natur aus großen, aber höchst sensib- len Biodiversität abträglich, wird allerdings durch das derzeitige Prämiensystem der Landwirtschaftsför- derung begünstigt.
Der Naturschutzbund fordert daher eine stärkere Orientierung der bestehenden Fördergelder an Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitskriterien. Eine Förderpolitik, die sich allein am Erhalt von Almflä- chen orientiert, ist nicht zukunftsfähig. Es gilt die Qualität unserer Almen an ökologischen Zielen auszu- richten und die noch nicht verbuschten Almen für die Herausforderungen der Zukunft fit zu machen. Für die ausgewogene Pflege der Almweiden und ihrer Artenvielfalt braucht es Weidemanagement, das auch Weideführung beinhaltet.
Almnutztiere lenken bedeutet Biodiversität schützen
Eine gezielte oder gelenkte Weideführung ermöglicht es den Weidetieren durch Einzäunung oder Hü- tung (durch Hirten) eine ausgewählte Fläche für bestimmte Zeit zugänglich zu machen. Dadurch kann der Beweidungsdruck gezielt auf die Vegetationsverhältnisse abgestimmt werden. Neben dem Schutz der hohen Biodiversität und sensibler Weidebereiche bringt das noch eine ganze Menge weiterer Vor- teile mit sich: Die Futterqualität für die Weidetiere verbessert sich, Almflächen können optimal genutzt und erkrankte oder verletzte Weidetiere können frühzeitig erkannt und versorgt werden. Auch der Ab- trieb ist wesentlich leichter, da die Suche und das Zusammentreiben der Tiere entfallen. Zudem kann gezielte Beweidung die Verbuschung hintanhalten und es muss weniger aufwändig geschwendet werden. Das aktuelle Prämiensystem fördert diese vielen Vorteile nur unzureichend. Um unsere Almen offen zu halten bzw. zu rekultivieren, sollten verstärkt Schafe und Ziegen eingesetzt und ihre Haltung durch entsprechende Förderprogramme unterstützt werden. Zur gezielten Weideführung sind Koppel- haltung mit Umtrieb oder Behirtung notwendig. Auch Bergmähder sind für die Biodiversität von hohem Wert. Sie sind jedoch arbeitsintensiv, denn sie werden nicht beweidet, sondern müssen mit Sense oder handgeführtem Motormäher gemäht werden. Diese Form der Bewirtschaftung ist für den Erhalt und die Förderung von Magerwiesen, deren Biodiver- sität besonders hoch ist, wichtig. Aus Sicht des Naturschutzbundes sind diese Pflegemaßnahmen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und sollten unbedingt weitergeführt werden – wenn notwendig von Landschaftspflegeverbänden.
Förderung nachhaltiger Almbewirtschaftung für Mensch und Natur
Der Naturschutzbund plädiert daher für eine wissenschaftlich basierte und klare Definition der „guten alpinen Praxis“ für die Gewährung der Grundprämien, um Artenvielfalt, Landschaftsbild und Erosions- schutz zu gewährleisten. Fehl-, Unter- oder Übernutzung müssen vermieden werden. Neben den not- wendigen Zahlungen für einen Erschwernisausgleich soll in Zukunft zusätzlich der gute ökologische Zu- stand ein Förderkriterium sein. Dazu sollte auch gehören, dass klar definierte ökologisch sensible Be- reiche nicht beweidet und Almflächen nicht gedüngt werden dürfen. Der Schutz unserer Mitwelt sollte durch eine angemessene Biodiversitätsprämie in der Landwirtschaft gewürdigt werden. Nur so wird die notwendige Umstellung (betrieblich und technisch) wirtschaftlich attraktiv und von den Betrieben als echte Option erkannt. Erfolgreiche Pilotprogramme auf einzelnen Almen (z. B. am Hauser Kaibling, Vordergottschallalm in Obertauern) bestätigen, dass durch eine moderne Förderpolitik die gelenkte Weideführung in der gesamten Almwirtschaft Einzug finden kann..
Hirtenausbildung überfällig
In Österreich gibt es zwar vereinzelt Kurse für Almpersonal. Allerdings sind diese vorwiegend auf die Tierhaltung und das Sennen auf Rinderalmen beschränkt und beinhalten keine gezielte Weideführung mithilfe von Hütehunden (nicht zu verwechseln mit Herdenschutzhunden). Der Einsatz dieser Helfer ge- hört zur Tradition des Hirtenberufes und ist unerlässlich, um eine Herde gut zu lenken. Ohne entspre- chende Ausbildung wird es auch weiterhin an qualifiziertem Hirtenpersonal in Österreich mangeln. Auf die zukünftigen Hirten und Hirtinnen kommen viele Herausforderungen zu, für die sie entsprechend vor- bereitet werden müssen. So werden sie in Zukunft auch beim Schutz von gealpten Schafen vor Beu- tegreifern eine Schlüsselrolle spielen. In Regionen, in denen aufgrund regelmäßigerer Vorkommen von großen Beutegreifern weitere Herdenschutzmaßnahmen notwendig werden, ist es von großem Vorteil, wenn die Alm bereits davor aktiv behirtet wird. Denn viele der für den Herdenschutz notwendigen Maß- nahmen (z. B. Umstellung des Weideverfahrens) sind dann bereits umgesetzt. Die Qualität und die flä- chendeckende Verfügbarkeit von entsprechenden Unterkünften sollten dafür unbedingt überprüft und gegebenenfalls durch ein gesondertes Programm ausgebaut werden.
Jetzt umstellen auf zukunftsfähige Förderpraxis
Der Naturschutzbund setzt sich seit seiner Gründung für eine naturnahe und nachhaltige Landbewirt- schaftung ein. Eine nachhaltige Almwirtschaft hat in der heutigen Zeit große Bedeutung für die Siche- rung der hochspezialisierten alpinen Pflanzenvielfalt. Angesichts Klimakrise und Biodiversitätsverlust fordert der Naturschutzbund eine den großen Herausforderungen angemessene, ökologisch ausgerich- tete Förderpraxis durch die öffentliche Hand. Durch eine Biodiversitätsprämie und gezielte Beweidung auf Österreichs Almen gewinnen alle: die Natur mit ihrer Vielfalt, die Bewirtschafter mit optimierter Flä- chennutzung, verbesserter Futterqualität und gut versorgten Tieren, der Tourismus mit bunten, artenrei- chen Almwiesen und die gesamte Gesellschaft mit vielfachen Ökosystemleistungen. Der Naturschutz- bund fordert die Entscheidungsträger dazu auf, die Förderpraxis stärker auf die Vorteile einer ökologi- schen Almwirtschaft auszurichten!
Beschlossen vom Präsidium des | naturschutzbund | Österreich im Oktober 2020