Kirchturmtiere

Kirchturmtiere? Also Mäuse oder Spinnen, vielleicht ein paar Insekten, ahh, und Fledermäuse, die sind oft in Kirchen! So ähnlich könnten die ersten Gedanken ausgefallen sein, als im Frühjahr 2020 die Einladung erging, sich an einem Projekt zu beteiligen.

Der genaue Titel: „Jetzt Kirchturmtiere melden! Ein Projekt teilhabender Wissenschaft (Citizen Scientist) der kirchlichen Umweltbeauftragten Österreichs gemeinsam mit bird-life Österreich und dem | naturschutzbund | Österreich.“

Das klang interessant, zumal sich über ein solches Projekt Räume öffnen könnten, die sonst meist verschlossen bleiben. Als wichtige Partner sollten die Mesmerinnen und Mesmer hinzugezogen werden, da sie die Zugänge zu den Türmen kennen und wahrscheinlich auch einige der heimlichen oder offensichtlichen Bewohner ihrer Kirchen kennen. Die Umweltbeauftragten der Diözesen sollten die Koordination der Informationen organisieren. Soweit der Plan. Dann kam Corona und warf alles über den Haufen. Keine Infoveranstaltungen, lock downs, Mund-Nasen-Schutz und Abstand halten.

Weil das Thema aber durchaus vielversprechend war, habe ich mich selbst auf den Weg gemacht. Mehr als siebzig Kirchen im ganzen Land wurden besucht und ihre tierischen Bewohner fotografisch festgehalten. Wo es möglich war, wurde Kontakt mit den Betreuern der Kirchen aufgenommen, um sie über das Projekt zu informieren und, wenn möglich einen Zugang zu den Türmen zu erhalten. Übrigens kein ungefährliches Unterfangen, da die Zugänge zu den oft schmalen und hohen Türmen mancherorts über alte Leitern führen und man tunlichst vermeiden sollte, um zwölf Uhr neben der großen Glocke zu stehen. Versteht sich!

Nach den ersten zehn Kirchen, alle im Raum Bregenz gelegen, war die Enttäuschung groß. Kaum ein Vogel war rund um die Kirchen zu sehen, keine Fledermäuse kurvten um die Türme und sogar auf den Mauern war, nach einem ersten Blick, alles „sauber“. Erst ein genaues Hinsehen zeigte, dass manche Tierarten ihre Nischen gefunden hatten. Am Fuß der oft trockenen Mauern fanden sich im Sand die Trichter der Ameisenlöwen. Diese Larven der Ameisenjungfern, einer Familie der Netzflügler, fangen in ihren Fallen Ameisen und andere Kleintiere wie Asseln oder Käfer und saugen sie aus. Auch verschiedene Spinnenarten hatten ihre Netze an den Mauern und Fenstern gespannt, Spaltenkreuzspinnen, Kugelspinnen oder Gartenkreuzspinnen.

Die wichtigsten Informationsquellen waren natürlich die Mesmerinnen und Mesmer. Durch viele Gespräche wurde so mancher Kirchturm aufgesperrt, manchem Hinweis konnte nachgespürt werden und manche Überraschung fand sich versteckt hinter den Balken.

Ein besonderer Glücksfall war die Begegnung mit dem neuen Mesmer der Pfarrkirche Höchst, Hubert Egger. Der umtriebige und begeisterte Betreuer der Kirche mit dem höchsten Turm Vorarlbergs (Höchst!) ermöglichte mehrere Begehungen und eine genaue Untersuchung des Inneren der Kirche. Nach seinem Hinweis auf regelmäßige Besuche von Turmfalken auf den Balkonen des Turms – nomen est omen – konnten zwei Brutkästen angebracht werden (Foto). Einer wurde im ersten Jahr schnell besiedelt, die Eier aber durch Krähen zerstört. Heuer wurde kein Brutversuch unternommen, allerdings besuchen die Falken den Turm regelmäßig.

Ein Highlight war die Meldung einer Fledermaus Ende Februar 2022, bei der es sich wahrscheinlich um eine Weißrandfledermaus handeln könnte (Foto). Sie wurde nach Begutachtung vorsorglich in einer Nische abgesetzt. Weitere unterstützende Maßnahmen, die jedenfalls die Besiedelung durch Tauben verhindern sollen, könnten folgen.

Überhaupt ist das Taubenproblem das zentrale Thema in den Kirchtürmen. Seit Jahren werden alle möglichen Zugänge zu Dachböden und Türmen durch engen Maschendraht verschlossen, um der Plage Herr zu werden. Leider wurden dadurch auch vielerorts die Fledermäuse ausgesperrt. Hier lebt die Hoffnung, dass durch Informationen und Gespräche kleine Öffnungen geschaffen werden, damit die bedrohten nächtlichen Flatterer wieder mehr Heimstätten finden.

Eine solche bietet zum Beispiel der Turm der Seekapelle in Bregenz. Eine kleine Kolonie von Großen Mausohren zieht dort ihre Jungen auf. Auch die seltenen Alpensegler haben den Turm zu ihrem Brutplatz erkoren. Beide Arten sind in ihrem Bestand bedroht und brauchen ungestörte Räume für die Jungenaufzucht.

An der Herz Jesu Kirche in Bregenz wurde ein Nistkasten für Wanderfalken angebracht, der heuer von Turmfalken erfolgreich besiedelt wurde.

Mit gutem Willen, guten Informationen und guten Gesprächen sollte es möglich sein, an vielen Kirchen Verbesserungen für seltene und bedrohte Tierarten umzusetzen. Die herausragende (!) Stellung der Türme in der Landschaft und in den Städten ist Anziehungspunkt für Mauersegler, Alpensegler und Turmfalken, das geschützte Innere Ruheort für Fledermäuse.

Das Projekt der Umweltbeauftragten der Diözesen, von bird-life und dem Naturschutzbund Österreich wurde im August 2021 abgeschlossen.

Gut möglich, dass mit steigendem Bewusstsein das Projekt erst richtig begonnen hat. Wenn die Mesmerinnen und Mesmer sich gegenseitig die Erfolge bei der Besiedlung „ihrer“ Türme erzählen, könnte ein sehr positiver Wettbewerb zum Nutzen vieler seinen Anfang nehmen.

Günther Ladstätter, 2. Obmann des | naturschutzbund | Vorarlberg

Fotos:

Ein Highlight unter den Kirchturm-Tierbeobachtungen, vermutlich eine Weißrandfledermaus © Günther Ladstätter

Brutkasten für Turmfalken © Günther Ladstätter

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