Accipiter gentilis - schon der lateinische Name dieses faszinierenden Greifvogels lässt uns erahnen, wie sehr ihn seit je die Menschen bewundern: Accipiter bedeutet „Der Fänger, der Zugreifer“, gentilis heißt „Der Adelige, der Edle“. Auch die Englische Form „hawk“ bedeutet Fänger und ist sicher eine Vorform des heutigen „Habicht“. Der Vogel des Jahres 2015 hat tatsächlich Fähigkeiten, über die wir nur staunen können.
Bei einer Körperlänge von 50 cm beim Männchen und 60 cm beim Weibchen zeigen erst Aufnahmen in Superzeitlupe, wie wendig und schnell ein Habicht seiner Beute selbst durch dichten Wald folgen kann. Dabei helfen ihm ebenso die verhältnismäßig kurzen, an den Spitzen abgerundeten Flügel wie der lange Schwanz, der zum Steuern benutzt wird. Zwischen Stämmen, die nur wenige Handbreit auseinander stehen, kann der Habicht ohne Verzögerung fliegen. Auch blitzschnelle Wendungen, ja sogar Drehungen um die eigene Achse sind möglich. Kräftige Flügelschläge wechseln sich im Flug typisch mit kurzen Gleitphasen ab. Nur gelegentlich kreist der Habicht weithin sichtbar in raschen Spiralen über seinem Revier.
Verbreitung
Die Verbreitungsgrenze fällt in Europa weitgehend mit der Waldgrenze zusammen. Besonders viele Brutpaare leben in den großen Wäldern des europäischen Russland. Südlich findet man Habichte in ganz Europa bis ins nördliche Afrika. Selbst auf Zypern kommt der Habicht als Brutvogel vor. Die Wissenschaft unterscheidet heute acht Unterarten, von denen die Nominatform den größten Teil Europas und selbst Marokko besiedelt. Eine kleinere Unterart lebt auf Korsika und Sardinien, eine weitere in Nordschweden bis Sibirien.
Bestand
Intensive Bejagung durch Jäger und Brieftaubenzüchter, der Tod in den Schlageisen der Habichtkörbe oder die Aushorstung der Jungvögel zur Beizjagd haben den Habicht in vielen Ländern am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts an den Rand der Ausrottung gebracht. Die starke Belastung durch Schwermetalle, besonders durch Blei und Cadmium, dezimierte die Population zusätzlich. So wurden die Eischalen der Gelege immer dünner, bis sie schließlich unter dem Gewicht des brütenden Weibchens zerbrachen. Über viele Jahre kamen nur wenige Jungvögel nach, die die Verluste nicht ausgleichen konnten. In der 1970 erschienenen Erstauflage des Buches „Die Vögel des Bodenseegebietes“ ist nachzulesen: „ Beim Habicht kann schon fast vom Aussterben gesprochen werden… Lediglich an den Hängen des Vorarlberger Rheintals scheint sich noch ein kleiner Bestand von 3 – 4 Paaren erhalten zu haben.“ Erst die Erweiterung der Schonzeiten auf das ganze Jahr in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hatte eine Erholung der Bestände zur Folge. Gleichzeitig entstand durch intensive Beobachtungstätigkeit und Forschung ein völlig neues Bild dieses Beutegreifers. Heute freuen sich viele Vogelkundler, Jäger und Wanderer, wenn sie für einen kurzen Moment einen Blick auf den schnellen Flieger erhaschen können. In Vorarlberg wird der Bestand auf 50 bis 70 Brutpaare, in Österreich auf 2000 bis 2300 Brutpaare geschätzt, wobei der Habicht besonders in den Städten ein neues Revier gefunden hat. In Deutschland befindet sich die dichteste Habichtpopulation in Berlin, wo über hundert Paare brüten (vgl. Mebs, Schmid, 2005: Die Greifvögel Europas, Nordafrikas und Vorderasiens).
Lebensraum und Lebensweise
Der Habicht bewohnt abwechslungsreiche Landschaften mit geschlossenen Wäldern und offenen Flächen. In den Städten brütet er in alten Baumbeständen, die sogar in Sichtweite der Häuser stehen können. Dort profitiert er von den vielen Tauben und Krähen, die den Hauptteil seiner Beute ausmachen. Daneben scheinen Drosseln, Stare und Eichelhäher auf seiner Beuteliste auf. In England fängt der Habicht Kaninchen in den Vorgärten, weshalb er von Gartenbesitzern gerne gesehen wird. Auch Eichhörnchen, Grauhörnchen und Elstern greift sich der starke Vogel, wenn sich die Gelegenheit bietet. Offene Hühnerhaltung rund um die Bauernhöfe ließ den Habicht oft jede Vorsicht außer Acht lassen. Und da er eine einmal gefasste Beute nicht so leicht aufgibt, wurde wohl so mancher Habicht vom Bauern auf dem gefangenen Hofhahn erschlagen. Generell fangen Habichte diejenigen Beutetiere, die in ihrem Revier am häufigsten vorkommen. Im westlichen Finnland machen Raufußhühner einen Großteil der Beute aus, im nördlichen Finnland sind es im Winter Schneehasen, die dort zahlreich vorkommen. (vgl. Brown, 1968: Eagles, Hawks and Falcons of the world). Dieses Verhalten kann dem Habicht heute noch zum Verhängnis werden, wenn er ein bäuerliches Hühnervolk als leichte Beute erkannt hat. In solchen Fällen helfen nur rundum eingezäunte Auslaufgebiete, will man Habicht und Hühner erhalten.
Genaue Forschungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Habichte abseits menschlicher Siedlungen vor allem kranke und geschwächte Tiere sowie unerfahrene Jungtiere erbeuten. So spielen diese vielseitigen Jäger eine wichtige Rolle bei der Gesunderhaltung ihrer Beutetiere. (Vgl. Brown, 1979: Die Greifvögel. Ihre Biologie und Ökologie)
Seine Beute überrascht der Habicht entweder vom Ansitz aus oder im rasanten Suchflug. Auf dem Zug kann man ihn beim Schlagen von Ringeltauben beobachten, die er, ähnlich wie der Wanderfalke, im Sturzflug fängt. Dabei kann er auf kurzen Strecken erstaunliche Geschwindigkeiten erreichen. Besonders faszinierend ist sein Zugriff, wenn er Amseln oder Drosseln von hinten einholt und sie von unten mit seinen Fangkrallen greift. Als Grifftöter bringt er seine Beute schnell zu Boden und fasst mit den besonders langen Krallen der ersten und zweiten Zehe ins Leben. Manche Beutetiere werden schon in der Luft „geschlagen“, wenn der Habicht mit großer Wucht seine Krallen beim Aufprall einsetzt. Am Boden „mantelt“ er, in dem er seine Flügel zur Abschirmung gegen lästige Futterneider über die Beute hält. Wenn möglich rupft ein hungriger Vogel seine Beute auf Baumstümpfen oder niedrigen Ästen und frißt vor allem das feine Brust- und Rückenfleisch.
Fortpflanzung
Habichte werden schon nach einem Jahr geschlechtsreif, jedoch brüten die meisten Vögel erst ab ihrem dritten Lebensjahr. Dies mag mit dem starken Druck zusammen hängen, den reviertreue Paare auf junge Artgenossen ausüben. Schon im Dezember kann man die Balzflüge beobachten, die von hohen Rufen begleitet über den Brutrevieren vorgetragen werden. Meist sind es hohe Fichten oder Tannen, die als Horstbäume ausgesucht werden. Wichtig sind eine gute Rundumsicht und freie Anflugmöglichkeiten. Die Horste werden oft über Jahre verwendet und können eine beträchtliche Größe erlangen. Während der Aufzucht werden immer wieder frische grüne Zweige ausgelegt, die dem kundigen Beobachter einen besetzten Horst vom Boden aus anzeigen. In vielen Revieren gibt es Wechselhorste, die die Habichte wechselweise nutzen. Wenn im April die Eier gelegt werden, bleibt das Weibchen auf dem Gelege und verlässt das Nest während der nächsten drei Monate nur selten. Brut und Fütterung gehören ausschließlich zu ihren Aufgaben. Das Männchen muss in dieser Zeit die ganze Familie mit Nahrung versorgen. Erst wenn die Jungen drei bis vier Wochen alt sind, beteiligt sich auch das Weibchen am Beutefang. Nach fünf bis sechs Wochen stehen die Jungvögel als Ästlinge in der Nähe des Nestes und werden noch mehrere Wochen nach ihrer Flugfähigkeit von den Eltern gefüttert. Dann allerdings heißt es fortziehen, denn die Revierbesitzer dulden keine Junghabichte als Konkurrenten. Die streichen dann weit umher und sind an ihrem getupften Federkleid gut von den gestreiften Altvögeln zu unterscheiden. Im ersten Lebensjahr kommen fast 50% der Jungen um, sei es durch Nahrungsmangel im Winter, sei es durch Zusammenstöße mit Fensterscheiben, Autos oder Zügen oder durch direkten menschlichen Einfluss.
Gefährdung und Schutz
Der Habicht hat sich durch die ganzjährige Schonzeit in seinem Bestand so erholt, dass derzeit nicht von einer Gefährdung zu sprechen ist. Da Habichte in den Waldgebieten große Reviere beanspruchen und jeden Artgenossen vertreiben, kann es nur eine sehr begrenzte Zahl von Brutpaaren geben. Im europäischen Schnitt liegt die Siedlungsdichte bei 3 bis 5 Brutpaaren auf 100 km². Zur Erhaltung des Bestandes gilt es, besonders während der Brutzeit Störungen von den Horsten fernzuhalten. Aus sicherer Entfernung ist es aber durchaus möglich, einen beutetragenden oder fütternden Altvogel zu beobachten. Nicht zuletzt die Freude an der Beobachtung hat diesen faszinierenden Greifvogel vor der Ausrottung bewahrt.
Der Habicht wurde von BirdLife Österreich sowie den Partnerorganisationen Naturschutzbund Deutschland (NABU) und dem Landesbund für Vogelschutz (LBV) Bayern zum Vogel des Jahres 2015 erklärt.
Günther Ladstätter, 3. Obmann des Naturschutzbundes Vorarlberg