Die Grauammer ist die graue Maus unter den Vögeln, unscheinbar gefärbt, unauffällig in der Größe, keine langen Schwanzfedern, nix besonderes also. So könnte eine Beschreibung der Grauammer wohl klingen. Auch die Bestandsentwicklung ist nix besonderes: Ein häufig anzutreffender Vogel der Riedgebiete mit steigender Tendenz ab den Zwanzigerjahren. Seit den Sechzigerjahren geht`s bergab, und zwar rasant. 70 singende Männchen im Jahre 1964, ein Jahr später noch 45 und wieder ein Jahr später nur noch 20! Heute ist der Bestand im gut dokumentierten Rheindelta auf wenige Reviere geschrumpft. Also wieder: Nix besonderes!
Nur wenige Brutvögel in Vorarlberg sind in ihrem Bestand dermaßen zurückgegangen wie die Grauammer. Mehr als 90 Prozent der Brutpaare sind verschwunden oder besser: finden bei uns keine Lebensgrundlagen mehr. Die Grauammer wurde nicht etwa wie die Feldlerche intensiv bejagt, ihre natürlichen Feinde haben nicht überhand genommen, nein, sie kann schlichtweg bei uns keine Jungen mehr aufziehen, weil das Futter fehlt. Womit wir bei der Ernährung sind. Wie viele Ammern weisen auch Grauammern einen starken Schnabel auf, der sie als Körnerfresser kennzeichnet. Die Jungen werden aber im Bodennest vorwiegend mit Insekten und Spinnen gefüttert. Davon gibt es einfach nicht mehr genug!
Im Zuge der sogenannten „Krefelder Studie“ wurden zwischen 1989 und 2016 in 63 Schutzgebieten Untersuchungen zur Entwicklung der Insektenbestände durchgeführt. Das Ergebnis ist möglicherweise eine der Antworten auf die Frage, warum sich manche Menschen auf die Straße kleben oder es Gruppen gibt, die sich „Letzte Generation“ nennen. Denn innerhalb von nur 30 Jahren sind 75 bis 80 Prozent der Insekten verschwunden. Verdrängt, totgespritzt, flurbereinigt! Unsere Lebensweise verlangt von der Landwirtschaft Lebensmittel zu günstigen Preisen, die nur auf großflächigen Feldern mit sauriergroßen Maschinen hergestellt werden können. Wo zehnmal pro Jahr gemäht wird, wo kein Busch die Maschinen behindert, wo keine Ähre aus der Reihe tanzt, haben Grauammern keinen Lebensraum mehr.
Eine Beschreibung des Gesangs der Männchen erübrigt sich wohl auch in diesem Beitrag, weil eh keine mehr zu hören sind. Das „Klirren wie ein Schlüsselbund“ ist mir aber von meiner Jugend her noch lebhaft in Erinnerung. Es war über Monate zu hören, wenn die Sänger nach Kurzurlaub in Spanien oder Portugal Ende Februar, Anfang März in ihre Reviere zurückgekehrt waren. Dort, wo sie früher um die besten Singwarten ritterten, ist der Boden heute so trockengelegt, dass kaum ein Insekt genügend Fressbares findet. Folglich finden wir auch keine Grauammern dort.
Es scheint zu dauern, bis sich ein Umdenken und, wichtiger noch, ein Neuhandeln entwickelt. Fast scheint es, als ob die Klimakrise aufzeigen muss, dass unsere Lebensweise die Leidensfähigkeit des Planeten überfordert. Schade, denn viele Lösungen liegen offen, nicht nur versteckt in Schubladen oder in den Tresoren der großen Konzerne. Es geht nicht nur um „weniger ist mehr“, es geht um „anders“. Wer beispielsweise in Dirk Steffens` Buch „Eat it“ liest, erkennt, dass es gute Lösungen gibt, aber noch zu wenig politischen Willen, diese auch umzusetzen. Bis die Dringlichkeit des Handelns sich bis in die höchsten Regierungskreise durchgesprochen hat, braucht es Zeit, die wir nicht haben. Also müssen wir selbst anpacken, selbst handeln, uns zusammenschließen mit Gleichgesinnten, die gut informiert sind, um zu retten, was zu retten ist. Die Grauammer ist ein trauriges Beispiel für viele andere Tiere und Pflanzen, die der alles gleichmachenden Keule der Agrarchemie zum Opfer fallen. Gutbetreute Schutzgebiete wie in Bangs-Matschels sind ein Ansatzpunkt der zeigt, dass es gelingen kann. Dort hat sich die Grauammer bis heute gehalten.
Günther Ladstätter, 2. Obmann des | naturschutzbund | Vorarlberg
Grauammer©Michael Dvorak