Nach intensiver Vorarbeit ist es uns gelungen, den Siegervogel des Jahres 2020, die Turteltaube, für ein Interview zu erreichen. Im Folgenden werden die wichtigsten Inhalte wiedergegeben, das ganze Gespräch, das mehrere Stunden gedauert hat, würde den Rahmen dieser Ausgabe sprengen.
Mensch: Hallo, und herzliche Gratulation zur Wahl zum Vogel des Jahres! Wie geht’s?
Turteltaube: Guru guru, grugru guruguru.
(Zum besseren Verständnis haben wir die Aussagen ins Schriftdeutsch übertragen! Anm. d. Red.)
Oh, vielen Dank, es geht so, also, ein bisschen aufgeregt ist man schon, aber ich habe mich zu Beginn sehr gefreut über die Wahl.
Mensch: Zu Beginn, sagen Sie? Das heißt, die Freude hat etwas nachgelassen!
Turteltaube: Ja, doch, weil man eben nachdenklich wird und überlegt, warum ausgerechnet wir Turteltauben gewählt wurden. Und dabei kommen auch Gedanken auf, die nicht so erfreulich sind.
Mensch: Können Sie das etwas genauer erläutern?
Turteltaube: Nun, wir haben uns bei den früheren Preisträgern umgehört und sie um ihre Erfahrungen gebeten. Letztes Jahr war das die Feldlerche und davor der Star. Beide sind zum Vogel des Jahres gewählt worden, weil unter anderem ihre Bestandszahlen so stark gesunken sind. Und weil ihre Lebensräume immer schneller kleiner werden. Und weil sie verfolgt werden. Das macht nachdenklich. Wir haben dann unsere Situation, wie sagt man – abgeklopft, ja, und haben erschreckende Parallelen entdeckt.
Mensch: In Bezug auf die Zahlen, den Lebensraum und die Verfolgung?
Turteltaube: Ja, genau. Ich darf das etwas genauer erklären. Früher, noch vor dreißig oder vierzig Jahren, konnten wir in weiten Gebieten Mittel- und Osteuropas brüten und unsere Jungen aufziehen. Wir leben gerne in warmen Regionen, an Waldrändern, in Parks und in Dörfern. Weil wir als Nahrung hauptsächlich Samen, Beeren und Knospen fressen, war unser Tisch reich gedeckt. Seit vielen Jahren wird jedoch die Landschaft regelrecht ausgeräumt, verwüstet, jedenfalls in unserem Sinne. So tun sich viele meiner Artgenossen schwer, noch genügend Nahrung für ihre Jungen zu finden. Auch sie selbst müssen immer weitere Wege zurück legen, um satt zu werden. Das ist auch deshalb so gefährlich, weil wir unser Futter fast ausschließlich am Boden suchen. Da ist jede Hauskatze für uns lebensgefährlich. Und dann ist da ein Problem, das mit meinen Verwandten zusammen hängt.
Mensch: Wie kann ich das verstehen?
Turteltaube: Wir sind ja nicht die einzige Taubenart in Europa. Neben uns leben hier noch die Ringeltaube, die Hohltaube, die Haustaube und die Türkentaube. Sie alle ernähren sich wie wir von Samen, Beeren, Knospen und Insekten. Weil sie alle größer und stärker sind wie wir, na ja, das muss ich jetzt nicht erklären!
Mensch: Verstehe! Also ein Konkurrenzproblem um Nahrung!
Turteltaube: Jaja. Dazu kommt die Veränderung der Landwirtschaft. Sehen Sie, früher wurden Weizen, Hafer und Gerste auch von den Feldern geerntet. Aber heute wird das mit den neuen Maschinen so gründlich gemacht, dass beinahe nichts liegen bleibt. Das trifft uns hart, wie übrigens auch andere Vögel. Für die Kraniche legen die Menschen sogar eigene Futteräcker an, damit sie genug zu fressen finden, für uns tut niemand etwas. Mit all diesen Problemen würden wir ja fertig, aber …
Mensch: Aber?
Turteltaube: Unser größtes Problem sind die Menschen. Wir sind die einzigen Tauben, die im Winter in den Süden ziehen. Die meisten meiner Artgenossen fliegen dabei über Italien und Malta nach Afrika.
Bevor wir uns über das Mittelmeer wagen, rasten wir oft in großen Schwärmen in Malta. Und dort werden wir von den Menschen erschossen, zu tausenden, jedes Jahr, einfach zum Spaß! Einfach zum Vergnügen, und (schluchzt). Ich kann jetzt nicht weiter sprechen!
Mensch: Das macht mich sehr betroffen, das tut mir wirklich leid. Aber Malta ist doch auch in der EU, da gelten doch auch die Gesetze zu eurem Schutz!
Turteltaube: Die gelten überall, nur nicht auf Malta. Also ich versteh das nicht. Vielleicht könnten Sie ja, ich meine, wenn viele Menschen über diese Todesfalle Bescheid wüssten, könnte sich ja etwas ändern, oder?
Mensch: Ja, natürlich. Jetzt verstehe ich auch, warum Sie zu Beginn unseres Gespräches nicht so begeistert waren über den Titel „Vogel des Jahres“. Ich darf Ihnen erst einmal danken für die Zeit, die Sie mit mir verbracht haben und Ihnen versichern, dass viele Menschen sich für ihren Schutz einsetzen und, so wie ich, überhaupt kein Verständnis haben für das Töten von Tausenden Ihrer Artgenossen. Wir werden uns für Sie einsetzen, versprochen!
Turteltaube: Guruguru. Guru! (Vielen Dank)
Günther Ladstätter,
2. Obmann des | naturschutzbund | Vorarlberg
zum Nachhören:
Umwelt aktuell 03.02.2020 – Die Turteltaube – geschützt und geschossen
Geschützt, verjagt und gejagt. Die Turteltaube steht wie kaum ein Vogel für widersprüchliche Politik und ist der Beweis, dass Schutzgesetze nichts nützen, wenn gleichzeitig der Lebensraum zerstört wird. Ornithologe Günther Ladstätter vom Vorarlberger Naturschutzbund über den Vogel des Jahres, dessen Liebesspiel und Malta als zweifelhaftes Paradies für Jäger und Todesfalle für 10.000ende Turteltauben.