Der Name trügt: Wie alle Echsen kann auch die beinlose Blindschleiche (Anguis fragilis) sehen, im Gegensatz zu Schlangen hat sie sogar frei bewegliche Augenlider, mit denen sie ihre Augen schließen kann. An ihrem schlangenähnlichen drehrunden, glatten Körper kann man von oben weder Hals noch Schwanzansatz erkennen. Der Schwanz kann bei Bedrohung, anders als bei Schlangen, abgeworfen werden und wächst dann verkürzt nach. An ihren vergleichsweise langsamen und manchmal etwas steif wirkenden Bewegungen kann man die Blindschleiche bereits im Gelände von einer Schlange unterscheiden.
Blindschleichen werden etwa 35 bis 50 cm lang. Durch ihre hellgraue bis braungraue Färbung sind sie am Waldboden perfekt getarnt. Die Weibchen sind lebendgebärend: Meist alle zwei Jahre bringen sie acht bis zwölf fertig entwickelte Junge zur Welt. Die knapp fingerlangen Jungtiere sind kontrastreich gefärbt, oberseits golden oder silberweiß mit einem schwarzen Rückenstreif, am Bauch und an den Seiten dagegen tiefschwarz.
Am ehesten wird man eine Blindschleiche einmal an einer sonnenexponierten Stelle an einer Wegböschung zu Gesicht bekommen. Oder man entdeckt sie überfahren am Straßenrand. Ihre heimliche Lebensweise täuscht darüber hinweg, dass es sich in Wirklichkeit um eines der häufigsten Kriechtiere unserer Heimat handelt, das in weiten Teilen Mitteleuropas fast flächendeckend verbreitet ist.
Auch in Vorarlberg kommt sie vom Bodensee bis in alpine Regionen vor – mit dem höchsten Nachweis auf 2300 m Höhe. Ihr Verbreitungsschwerpunkt liegt aber in den strukturreichen Landschaften der Talflanken zwischen 500 und 750 m Höhe. Lichte Wälder gehören ebenso zu ihrem bevorzugten Lebensraum wie die offene oder halboffene, abwechslungsreiche Kulturlandschaft; sie kann sich aber auch im Siedlungsraum auf Brachflächen oder in naturnahen Gärten ansiedeln. Wichtig sind Versteckmöglichkeiten unter Baumstümpfen oder Holzbrettern oder in locker geschichteten Stein-, Laub- und Komposthaufen. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Nacktschnecken und Regenwürmern. Daher kann jeder Gartenbesitzer zum Schutz der Blindschleiche beitragen, indem er wilde Ecken mit vielfältigen Kleinstrukturen in seinem Garten zulässt und auf Schädlingsbekämpfungsmittel und den Einsatz von Schneckenkorn verzichtet.
Große Verluste erleidet die Blindschleiche im Straßenverkehr und bei der Mahd von Wiesen, Wegrändern und Straßenböschungen, vor allem wenn das Mähwerk tief eingestellt ist. Im Siedlungsraum können auch Hauskatzen zur Dezimierung der Bestände beitragen. Da genaue Kenntnisse über die natürlichen Populationsgrößen und über lokale Bestandsentwicklungen der Blindschleiche nicht vorliegen, für den langfristigen Schutz aber zwingend nötig wären, soll die Art mit der Wahl zum „Reptil des Jahres“ in den Mittelpunkt des Interesses gestellt werden.
Dipl. Biol. Anne Puchta