Das vermeintlich Unverzichtbare

Es gibt, so meine ich, gute Gründe, auf sein Auto zu verzichten, ja es sogar zu verkaufen.

Der aberwitzige Bodenverbrauch für immer neue Straßen und Parkflächen findet kein Ende eben so wenig wie der hohe Ressourcenverbrauch oder die schon spür- und sichtbar gewordenen Klimafolgen. Der Individualverkehr bleibt trotz und mit E-Mobilität ein Tummelplatz aus der Zeit Gefallener in peinlichen Viagramobilen und kann einem zunehmend so auf die Nerven gehen, dass man einen Schlussstrich ziehen will. Da fragt man sich irgendwann, ob man weiterhin ein Mitglied der kruden Automobilgesellschaft bleiben will.

Wenn man sich endlich (durchaus nach langem Ringen) für den Verkauf des eigenen Untersatzes entschieden hat, wird man neugierig auf die eigenen Reaktionen. Wird man sich entmannt fühlen ohne Auto (selbst wenn es nur ein gewöhnliches Auto der Golfklasse gewesen ist)? Wird es ein eingeschränktes, reduziertes Leben, der Witterung ausgesetzt, öde und freudlos?

Nach einem Vierteljahr Erfahrung befindet man:
Es war eine gute Entscheidung. Man wird nicht nur animiert zu mehr Bewegung, nein, man fühlt sich auch in den sogenannten Massenverkehrsmitteln gut und noch immer als Individualist. Man kann selbstbestimmt bleiben, wird neugierig, kombinationsfreudig. Man lässt seine inneren Schweinehunde ratlos zurück, wenn man sich auch bei Nieselregen gut mit einem Cape geschützt aufs Rad schwingt, um ins Büro oder ins Café Bazar zu fahren. Man kommt dort nicht weniger trocken an als der Autofahrer aus der nahen Tiefgarage, nur ist man fröhlicher und zufriedener, auch wenn man Regentropfen von seiner Brille wischen muss. Man hat sich aus eigener Kraft bewegt, niemanden verlärmt oder gar gefährdet. Die Parkgebühr kann man anders investieren wenn einem danach ist, vielleicht in ein Joghurt mit Früchten oder eine zweite Melange. Selbst der Wochenendeinkauf gelingt ohne Abstriche mit einem koppelbaren Einkaufswagen. Auch ein Fußweg, selbst wenn er eine Stunde währt, gewinnt an Reiz, weil man Eindrücke sammelt, vielleicht anlächelt oder angelächelt wird und alles Übellaunige mit seinen Schritten in den Boden tritt. Man weiß zudem bei allem, dass man auch etwas für sich getan hat.

Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Denn einen beträchtlichen Anteil an der als neue Freiheit empfundenen Umstellung seiner persönlichen Mobilität hat das Klimaticket. Es hebt viele Grenzen für diejenigen auf, die ihre eigene Fortbewegung weitgehend auf die eigene Körper und Willenskraft beschränkt haben oder beschränken wollen. Liebe Frau Ministerin Gewessler (und mitverantwortliche Landeshauptfrauen und -männer), das Ticket ist eine grandiose Sache, es prägt die Mobilität auf eine neue und nachhaltige Weise! Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren ist zu einem Akt geworden, den selbstbewusste Menschen zu einem sensationell guten Preis (insbesondere im Vorverkauf) setzen können. Dabei ist es trotz allem nicht immer einfach seinen Individualismus den Erfordernissen des Klimaschutzes anzupassen. Denn das Ticket hat natürlich auch seine Schwächen, die in den Mängeln des Verkehrsnetzes der Öffis zu suchen wie etwa der unzureichenden Flächendeckung, der oft erschwerten Mitnahme des eigenen Fahrrades oder bei Fernreisen der Manipulation des umfangreichen Reisegepäcks.


Eines fällt mir jetzt aber besonders auf: wie nachlässig Radfahrer und Fußgänger in das Verkehrssystem von Städten und Gemeinden eingegliedert werden, wie unzulänglich die Abstimmung zwischen den Erfordernissen einer sicheren Erreichbarkeit von Bushaltestellen oder Bahnstationen noch immer ist. Oder wie unzureichend – trotz aller Bemühungen – die Stellplätze für Räder an Zahl oder Qualität an den Stationen oft noch sind. Am Hauptbahnhof in Salzburg anzukommen und mit einem Lastenrad oder auch nur mit einer größeren Reisetasche am Gepäckträger über die Rainerstraße in die Innenstadt fahren zu wollen, verlangt einem alles an Mut und Geschicklichkeit ab. Das weiß sogar der „autophile“  Bürgermeister aus den Zuschriften engagierter Bürger, aber er lässt keinen Willen zur Änderung (Erlassen eines Halteverbots) erkennen. Mit einem Kinderwagen, einem Rollator oder gar einem Rollstuhl die Bushaltestellen oder Bahnhöfe einigermaßen stressfrei erreichen zu können, ist noch lange nicht Standard. Gehsteige sind – trotz gesetzlicher Vorgaben – oft viel zu schmal, zwei Kinderwägen können nicht aneinander vorbei ohne auf die Straße auszuweichen (wenn es die parkenden Autos überhaupt erlauben).

Niemand scheint sich um den Rückschnitt der Hecken zu kümmern, die die verfügbare Fläche weiter einschränken. Wie in einem Witzfilm wirkt es, wenn dann ausgerechnet Parkautomaten den Gehsteig einengen und wie in der Abbildung, die Passage zur Haltestelle der Linie 8 erschweren.

Der nächste Schritt hin zu einem umweltfreundlichen Verkehrssystem muss es sein, den Bedürfnissen der ÖFFI-Nutzer, ihren verkehrssicheren Hin- und Rückwegen zu den Stationen
endlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken. In der ersten Phase wird es weniger Geld kosten sondern eher die Überwindung bürokratischen Gewohnheiten und Wurstigkeiten. Weil Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel selten so nahe am Haus liegen wie die Garage oder der Carport müssen die Zuwege systematisch und flächendeckend auf Gefahrenstellen, ausreichende Breite, Qualität der Wegbeläge etc. untersucht werden. Die Umsetzung entsprechender Verbesserungsmaßnahmen wird nicht nur einen weiteren Qualitätssprung im öffentlichen Verkehr mit sich bringen sondern auch so mancher/manchem die Schwellenängste nehmen, auf sein Auto doch zu verzichten.

Dr. Winfried Herbst ist Biologe, war in der Kommunalwirtschaft und als Pädagoge tätig, ist seit Jahrzehnten Umweltaktivist und derzeit Vorsitzender des Naturschutzbund Salzburg.

Foto: Parkautomat, Augustinergasse Salzburg @ W. Herbst 2022
(online seit 21/6/2022)

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