Wiener Biodiversitätskorridor: Gemeinsam Lebensräume schaffen und verbinden

Wien zählt zu den artenreichsten Städten Mitteleuropas, insbesondere was Wildbienen und Blütenpflanzen betrifft. Hier sind rund 500 Wildbienenarten heimisch. Diese Vielfalt kann jedoch nur erhalten bleiben, wenn wertvolle Lebensräume geschützt, richtig gepflegt und miteinander verbunden werden. Genau hier setzt der „Wiener Biodiversitätskorridor“ an. Das Projekt der Universität Wien verbindet Forschung, Naturschutzpraxis und Bildungsarbeit. Entlang ausgewählter Gassen werden blütenreiche Trittsteinbiotope angelegt, deren Bedeutung für Insekten untersucht und durch Infotafeln für Passant:innen sichtbar gemacht.

Eines der selbst angelegten Versuchsbeete des Wiener Biodiversitätskorridors mit prächtig blühendem Färberwaid (Isatis tinctoria) vor der Meidlinger Pfarrkirche am Migazziplatz. Foto © Florian Etl

Eines der selbst angelegten Versuchsbeete des Wiener Biodiversitätskorridors mit prächtig blühendem Färberwaid (Isatis tinctoria) vor der Meidlinger Pfarrkirche am Migazziplatz. Foto © Florian Etl

 

Im Zentrum steht die Frage, wie kleine oder unscheinbare Flächen zu einem funktionierenden Ökosystem in der Stadt beitragen. Besonders deutlich zeigt sich das am südexponierten Hang entlang der Felberstraße am Gelände des Westbahnhofs: Auf der rund 1 km langen und 20 m breiten Böschung wurde innerhalb von drei Jahren eine vergleichsweise hohe Artenvielfalt mit 91 Wildbienenarten und 115 insektenbestäubten Pflanzenarten dokumentiert, darunter bemerkenswerte Arten wie zum Beispiel die Schwärzliche Wespenbiene (Nomada furva) und die Schopf-Traubenhyazinthe (Muscari comosum). Die teilweise trockenrasenähnliche Vegetation, die verschiedensten Kleinststrukturen und das warme Mikroklima schaffen ideale Bedingungen für Wildbienen und ihre Nester. Solche wertvollen Flächen müssen frühzeitig erkannt und in Planungsprozesse einbezogen werden. Andernfalls können bei Neugestaltungen wertvolle Mikrohabitate und damit auch die dort ansässigen Wildbienenpopulationen verloren gehen.
Auf Grundlage dieser Forschung entstand die Ausstellung „Wien summt – Die Welt der Bestäuber und Blüten in unserer Stadt“, die alle 91 auf der Felberstraße nachgewiesenen Wildbienenarten zeigt und ihre Abhängigkeit von bestimmten Pflanzenarten anschaulich macht.
Die Universität Wien untersucht zudem, welche heimischen, trockenheitsverträglichen Wildpflanzen sich besonders gut für die Stadt eignen und gleichzeitig Insekten zugutekommen. Speziell dafür angelegte Biodiversitätsinseln dienen als Versuchsflächen, um robuste, pflegearme und ökologisch wertvolle Pflanzenmischungen zu testen. Die Ergebnisse fließen direkt in Begrünungs- und Bildungsprojekte ein.
Eine zentrale Rolle spielt das aktuelle Sparkling-Science-Projekt „BiodiverCITY–Island Hopping“, das Schulen, Studierende und lokale Initiativen einbezieht. Kinder und Jugendliche pflanzen Wildpflanzen, beobachten deren Blüten und dokumentieren, welche Bestäuber davon angelockt werden. Ausgewählte Wildbienenarten, wie die Garten-Wollbiene (Anthidium manicatum) und die Ackerhummel (Bombus pascuorum) werden mit Farbpunkten markiert, um Wanderungen zwischen einzelnen Trittsteinbiotopen und die dabei zurückgelegten Flugdistanzen zu erfassen. So lernen junge Menschen wissenschaftliche Methoden kennen und werden motiviert, selbst aktiv zum Schutz der Stadtnatur beizutragen.
Gemeinsam mit der Stadt Wien und der Gebietsbetreuung Stadterneuerung entstand 2024 der „Lehrpfad der Artenvielfalt“, der an mehreren Stationen im 12., 15. und 6. Bezirk Pflanzen, Tiere und ökologische Zusammenhänge erklärt. Er ermöglicht Naturerlebnisse im Alltag – direkt am Arbeits- oder Schulweg – und stärkt das Bewusstsein für Wiens ökologische Besonderheiten.

Florian Etl von der Universität Wien erforscht gemeinsam mit begeisterten Kindern aus Meidling die Insekten, die sie im Rahmen eines Biodiversitätsspaziergangs in der Biodiversitätsgrätzloase Mandlgasse gefangen haben. Foto © Robert Gittenberger

 

Unter dem Einfluss des Wiener Biodiversitätskorridors entstehen laufend neue Projekte und Kooperationen. Ein Beispiel ist der im Rahmen des „Wiener Klimateams“ bewilligte Biodiversitätskorridor beim Schöpfwerk. Dort sollen ein kleiner Stadtwald, ein Naturlehrpfad entlang insektenfreundlich bepflanzter Beete und eine Biodiversitätsgrätzloase entstehen. Von dort aus werden künftig „Biodiversitätsspaziergänge“ für Schulen und Gruppen starten.
Auch im 2. Bezirk an der Engerthstraße wächst der Korridor weiter: Zwischen dem „StadtWald“ der Social City Wien und der Tagesstätte „Rainman’s Home“ wird ein neuer Abschnitt angelegt. Gemeinsam mit der Tagesstätte wurde ein großer Garten im Innenhof eines Gemeindebaus bienenfreundlich gestaltet. Künftig soll die angestiegene Insektenvielfalt gemeinsam mit den Klient:innen vor Ort dokumentiert werden. Dies ist ein Beispiel für inklusive und niederschwellige Biodiversitätsarbeit. Mit seinem aktuellen Projekt „Baumscheiben-Patenschaften“ entlang der Engerthstraße unterstützt der Naturschutzbund Wien die Verbindung dieser wertvollen innerstädtischen Lebensräume durch von Bewohnern angelegte, naturnah gestaltete Beete.
Die vielen Initiativen zeigen: Natur- und Artenschutz in der Stadt gelingt nur durch das Zusammenspiel zahlreicher kleiner Projekte. Werden bestehende Naturflächen isoliert, sind Populationen gefährdet – werden sie verbunden, entsteht ein stabiles Gefüge, das Tieren, Pflanzen und Menschen zugutekommt. Pflanzen kühlen die Stadt, verbessern das Mikroklima, reinigen die Luft und schaffen Orte der Erholung – selbst in dicht bebauten Bezirken.
Der Wiener Biodiversitätskorridor macht sichtbar, dass urbane Natur Pflege und Aufmerksamkeit braucht, aber zugleich eine große Chance bietet: Wienerinnen und Wiener können direkt vor ihrer Haustür erleben, wie vielfältig die Stadtnatur ist – und selbst dazu beitragen, sie zu erhalten. Das Projekt unterstützt engagierte Menschen und kleine Initiativen – etwa mit geeigneten Pflanzen, Infotafeln, Beratung oder Insektenkartierungen. Tipps zum Selberforschen helfen dabei, die Vielfalt an Wildpflanzen und Insekten sichtbar zu machen.
Wenn Sie eine Fläche betreuen oder betreuen möchten, die zur Förderung der Biodiversität in Wien beitragen könnte, oder wenn sie einen unbekannten Hotspot für Tiere und Pflanzen entdeckt haben – sei es ein Innenhof, eine Terrasse, eine Baumscheibe, ein Kleingarten oder eine andere grüne Insel –, dann melden Sie sich! Jede Fläche, jedes Projekt und jede Idee zählt. Schreiben Sie an Florian Etl, (florian.etl@univie.ac.at, Betreff: Wiener Biodiversitätskorridor) und helfen Sie mit, Wiens Naturräume zu verbinden und Menschen für Biodiversität zu begeistern.

Ein Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus) auf einer Berg-Aster (Aster amellus) in einem der selbst angelegten Beete des Wiener Biodiversitätskorridors. Foto © Florian Etl

 

Mag. Florian Etl, PhD
Universität Wien
Department für Botanik und Biodiversitätsforschung
Rennweg 14, 1030 Wien
florian.etl@univie.ac.at

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