Offener Brief an Bundesministerin Gewessler und Bürgermeister Ludwig gegen die von der ASFINAG geplanten Baumschlägerungen an der A4

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Leonore Gewessler, sehr geehrter Herr Bürgermeister Michael Ludwig!

Der Österreichische Naturschutzbund Landesgruppe Wien verfolgt mit Sorge die Pläne der ASFINAG für ein Sanierungsprojekt der A4 im Bereich der Katastralgemeinden Simmering, Kaiserebersdorf und Albern. Im Zuge der Baumaßnahmen sollen nach derzeitigem Projektzeitplan im Winter 2023/2024 sowie 2024/2025 insgesamt 1168 Bäume - davon allein knapp 300 Stück am Donaukanal - gefällt werden. Dabei handelt es sich vorwiegend um Silber- und Schwarzpappeln, z.T. Altbaumbestände aus kräftigen Exemplaren mit bis zu 3,7 m Stammumfang. Zudem sollen Grünstreifen sowie der Donaukanal-Radweg von dem Sanierungsprojekt betroffen sein. Als Begründung wird die Errichtung einer Lärmschutzwand an der Autobahn angegeben, für die eine Verbreiterung der Fahrbahn um mehr als einen Fahrstreifen benötigt wird.

Aus naturschutzfachlicher, sachlicher und praktischer Sicht lässt sich die geplante Vorgangsweise aus folgenden Gründen nicht nachvollziehen:

Die Fällung von über 1000 zum Teil alten (bis zu 87-jährigen) Bäumen ist unter den heutigen Bedingungen aus Gründen des Natur- und Klimaschutzes unverantwortbar. Bäume werden in Hinblick auf die Klima- und Biodiversitätskrise immer wichtiger, erfüllen sie doch wertvollste Aufgaben als wirksame natürliche Klimaanlagen, Sauerstofflieferanten, Luftfilter, Schattenspender usw. und stellen als unverzichtbare Lebensräume für zahlreiche Organismen eine wichtige Säule der Biodiversität dar. Zwar sind Ersatzpflanzungen nach Abschluss der Bautätigkeiten geplant, doch können Jungbäume erst in einigen Jahrzehnten die für Klima-, Umwelt- und Artenschutz erforderlichen Leistungen erbringen. Außerdem sind sie bei fehlender Intensivpflege kaum nachhaltig. Darüber hinaus erfüllen die Pappeln einen wichtigen ästhetischen Aspekt: Sie schaffen eine Natursilhouette, die Auwaldstimmung aufkommen lässt, was beim Ankommen wie auch Verlassen der Stadt über die A4 für einen besonderen ersten bzw. letzten Eindruck von Wien sorgt. Des Weiteren widerspricht ein Eingriff in die ohnehin bedrängte Natur unserer Stadt den Klimazielen der Stadt Wien sowie jenen der Bundesregierung und der EU.

Außerdem kann der Verlust eines der besten und bedeutendsten Wiener Radwege zugunsten des Kapazitätsausbaus einer Autobahn nicht das Ziel einer zukunftsträchtigen Verkehrspolitik sein. Ohne Verkehrswende ist Klima- und Ressourcenschutz nicht möglich. Ein „Weiter wie bisher“, also eine autogerechte Stadtentwicklung, ist keine Option. Vielmehr sollten dem Autoverkehr zunehmend Fahrspuren entzogen, seine privilegierte Raumnutzung beendet und Straßenprojekte umweltschonenden, nachhaltigen Formen der Mobilität weichen.

Was die Lärmschutzwand betrifft, ist deren Wirkung laut Verkehrsexperten Hermann Knoflacher unmittelbar an der Lärmquelle, also der bestehenden Fahrbahn, am größten. Die Kosten würden mit dem Abstand und damit mit der Höhe/Fläche der Wand zunehmen, was einen steigenden Aufwand durch Effizienzreduktion bedeuten würde. Die Verwendung öffentlicher Mittel steht daher im Widerspruch zu den Prinzipien Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Der Bau einer Lärmschutzwand ist dem Verkehrsexperten zufolge ein temporärer Eingriff, der durch verkehrsorganisatorische Maßnahmen ohne zusätzliche Inanspruchnahme von Natur im Bestand, wie auch anderswo bewältigt werden kann. Außerdem reicht dafür die Breite im Bestand aus. Die nicht begründbare Vergrößerung der versiegelten Fläche scheint laut Knoflacher vielmehr dem „Geschäftsmodell“ der ASFINAG, die ja eine Finanzierungsgesellschaft ist, zu entsprechen, durch einen zusätzlichen Fahrstreifen den Verkehr und Stau in Wien weiter zu vergrößern, wie das schon in den vergangenen Jahrzehnten praktiziert worden sei.

Die Orientierung der Planung an der durch eigene Maßnahmen erzeugten Vergrößerung des Autoverkehrs entspräche zwar den Konzernzielen der Geldmittelbeschaffung für die durch den weiteren Ausbau auch mögliche Aneignung österreichischen Grund und Bodens gemäß dem Fruchtgenussvertrag. Sie entspräche aber nicht dem Stand qualifizierten Verkehrswesens im zuständigen Ministerium und den Umweltzielen des gleichen Ministeriums.

Vom geplanten Sanierungsprojekt sind bis jetzt auf der Webseite der ASFINAG noch keine Informationen zu finden, hingegen sind politische Strategien bekannt, um das natur- und umweltschädigende Projekt des Lobautunnels wieder zu aktualisieren.

Der Österreichische Naturschutzbund Landesgruppe Wien fordert daher die Wiener Landesregierung und das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie auf diese geplante folgenschwere Umweltzerstörung sofort zu stoppen.

Mit freundlichen Grüßen

Österreichischer Naturschutzbund Landesgruppe Wien

 

1070 Wien, Museumsplatz 1, Stiege 13

Kontakt: wien@naturschutzbund.at, 0677 624 32 770

 

Wien, 08.06.2023

Foto: © A. Schatten

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