Ökostädte - Überlebensmodelle für Mensch und Biosphäre

Humanökologe Lötsch über Sehnsüchte und Chancen zur „Naturkonditionierten Stadt“

Die Welt verstädtert unaufhaltsam. Sie versteinert, erstarrt in Beton, Metall und Glas. Gärten und Parks werden zur Ersatznatur der Stadtmenschen . Statt Natur: Stadt-Natur? Eine Stadt hat immer noch Strukturvielfalt, also ökologische Nischen, bietet davon mehr als ausgeräumte Traktorsteppen heutiger Agro-Industrie, betonte der Humanökologe Univ. Prof. Dr. Bernd Lötsch in einem Referat beim Wiener Naturschutzbund. Ein Beispiel: Obwohl Wiens Gebäudemasse seit 1958 im Bauland um fast 40 Prozent zunahm und dabei 30 Prozent der naturnahen Flächen verlor, ist ihre pflanzliche Artenvielfalt immer noch reichhaltiger als die der großen Mittelmeerinsel Kreta! Laut Universität Wien weist das Stadtgebiet 2.200Arten von Farn- und Blütenpflanzen auf – heimische oder alteingebürgerte  - und 130 „etablierte Neophyten“, also integrierte botanische Immigranten.

 Aber warum beginnen immer mehr Menschen in aller Welt ihre Stadt zu hassen - obwohl der Mensch doch konstitutionell ein „Koloniebrüter“ wäre und Städte sein Paradies sein könnten? Lötsch: „Monotonie, Technobrutalismus, Naturverlust, Terror der Fahrmaschinen, gesichtslos weil geschichtslos. Was eine Stadt werden kann, hängt offenbar davon ab, was sie einmal gewesen ist“. Lötsch beschäftigt die Vision einer „Naturkonditionierung der Städte“. Schon um 1990 erstellte er im Team Kriterien für ein Prädikat „Öko-Stadt“. Urbanität, als Inbegriff all dessen, was Stadt attraktiv und lebenswert macht, so der Wissenschaftler, wäre gelungene, ja beglückende, kollektive Lebensform. Sie braucht sogar Dichte, aber mit Vielfalt und Wahlmöglichkeit, braucht organisch Gewachsenes („Natur-Erinnerung“) wie auch kulturell Gewachsenes. Kurzum: eingesprengte Naturelemente und Zeugen der Vergangenheit. Das verlangt aber auch das Zulassen von Ungeplantem, Zufälligem und Spontanem. „Die Kunst der Planer“, so der Humanökologe, „müsste Organisches, den gelenkten Zufall ermutigen statt einer Erstarrung durch betonierte Megakuben in Glas und Metall“.

Funktionalität ja, aber …

 Funktionalität war immer wichtig, ist aber im letzten Halbjahrhundert zur Vernüchterung verkommen, zur öden stereotypen Wiederholung von Fertigteilen, die noch dazu hässlich altern. Funktionell wäre hingegen Klimagerechtigkeit, regionale Angepasstheit und Erfüllung angeborener Grundbedürfnisse des Homo sapiens sapiens wie sie die Verhaltensforschung in allen Kulturen fand - bis zu Orientierungsfreundlichkeit in überschaubaren Dimensionen. „Qualifizierte Dichte“ im Wohnungsbau wäre Schutz vor Fremdeinblick und unerwünschten Zwangskontakten. Und „verdichteter Flachbau“ heißt nicht nur ein- bis zweigeschossig, sondern gälte bis zu drei und vier Geschossen: Siedlungsformen mit sichtgeschützten Grünhöfen als introvertierte Frischzellen mit nur einem Fünftel des straßenseitigen Lärmpegels. Wohnhöfe sind weit humaner als jene hohen Menschensilos mit ihrem offen ungeschütztem Abstandsgrün und sterilgrünen Gemeinderasen im Blickfeld hundertfenstriger „Wohn-Scheiben“ mit freier Schall-Ausbreitung von der Fahrbahn.

Lötsch: „Nur  drei- bis viergeschossige Wohnhöfe  wie etwa Wiener Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit bieten auf gleichem Areal ein Fünftel mehr Wohnkubatur als zehngeschossige „Wohnscheiben" - heute könnten sie sogar Privat-Wohngrün für Mieter in jeder der drei bis vier Ebenen vorsehen: Hofanteil, Grünbalkon und  Dachgärtchen  („Vollwertwohnen" nennen das die Soziologen).Wo es gelang, herrscht keine rhythmische Halbflucht aus der Stadt mehr an den Wochenenden, keine Völkerwanderung von Benzinhunnen ins längst halbzerstörte Umland.

Versuchsstationen  für den Weltuntergang

Mitschuld am Absturz der Baukultur ist auch die maßlose Überbewertung des  ungeprüft „Innovativen“, des „Noch  nie Dagewesenen“. Die Folge: Zerstörungswut als Kreativität des Einfallslosen. Schönheit hingegen wäre Funktionserfüllung für die Seele. So war auch die Schönheit der Fassaden (von 'face'  Gesicht ) einst die Höflichkeit der Bauenden gegenüber ihrer Mitwelt. Der Charme gewachsener Städte lebt heute noch davon. Lötsch zeigte Beispiele erstaunlich hoher Dichte,  gewachsene, von mediterranen Kulturen über Elsaß bis zu neuen, etwa in Südengland.

Die Menschheit drängt ohnehin in die Städte - seit kurzem lebt bereits die Hälfte der Menschheit in ihnen, bis 2030 werden es 70% (!) sein. Optimal organisierte Ökostädte könnten statt der bekannten Stadt-Desaster, besonders in Entwicklungsländern  ( „Versuchstationen für Weltuntergänge") zur einzig vorstellbaren Entlastungs-Strategie für den geschundenen Planeten werden. Tatsächlich ist die dramatisch dezimierte Restnatur nur zu retten, wenn es gelingt, den gefährlichsten weil erfolgreichsten Schädling der Erdgeschichte auf urbane Habitate zu konzentrieren. Größte Fehlentwicklung ist der unkontrolliert krebsartige Landfraß  des „ins Umland  metastasierenden" URBAN SPRAWL.


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