Lobau soll leben - Wasser für die Au

Am 27. und 28. April dieses Jahres fand im Naturhistorischen Museum ein Symposium zur wohl bekanntesten Aulandschaft im Wiener Raum mit gleichem Titel statt. „Erkenntnisse und Perspektiven der Wissenschaft“ lautete die Zielbestimmung der Veranstaltung, bei der es nicht nur um die Natur, die Ökosysteme, Lebensräume und Arten, sondern auch – und vor allem – um deren Erhaltungszustand ging. Auf den Punkt gebracht – dieser ist mehr als besorgniserregend.

Die Lobau, Herzstück eines der prägenden Naturräume Wiens, nämlich der Donaulandschaft bzw. der Donauauen, droht ihren Charakter als Au gänzlich zu verlieren, damit auch den größten Teil ihrer Gewässer, um ökologisch-standörtlich, d. h. als Lebensraum, mehr und mehr in eine Allerwelts-Parklandschaft überzugehen.

Vor der ersten umfassenden Regulierung der Donau in Wien 1870 war die Lobau ein von der Donau umschlossenes und mehrfach durchflossenes „Inselparadies“. Seither ist der offene Zusammenhang zum Fließgewässer weitgehend unterbunden. Der Bau des Marchfeldschutzdammes und die Errichtung des „Wiener Durchstiches“, der die Donau in einem Bett zusammenfasste, führte zum Abschneiden der vielen Haupt- und Nebenarme (z. B. Alte Donau) und in der Folge zu deren Umwandlung in verlandende Stillgewässer, vor allem im Bereich der heutigen Lobau.

© Norbert Novak

Die Konnektivität zwischen Auen-Ökosystemen und Wasserkörpern wirkt lateral und vertikal, über Verbindungen von Gerinnen und im Grundwasser sowie über ausgedehnte Wasserschwankungen. Eine verringerte Konnektivität zeigt sich am Rückgang bzw. am Ausbleiben von Überschwemmungen in der Au, an der Verlandung der Oberflächengewässer wie auch am langfristig sinkenden Grundwasser. Weitere Entwicklungen der letzten 150 Jahre, wie die zunehmende Urbanisierung und Verdichtung des Wiener Donauraumes, die 2. Donauregulierung (Donauinsel) oder die durch den Kraftwerksausbau beschleunigte Betteintiefung der Donau, haben die ökologischen Veränderungen der Auen maßgeblich beeinflusst.

Die Lobau ist zum Beispiel einer degradierten Aulandschaft geworden, allerdings mit bis etwa zur Wende in das 21. Jahrhundert vitalen, d. h. autypischen, Lebensraumelementen. Seitdem scheint sich die negative Entwicklungsspirale weiter zu drehen, u. a. angetrieben durch hinzugekommene, kurzfristige Veränderungen im Abflussverhalten der Donau (Stichwort „Klimawandel“) und ein mangelhaftes Gewässer-Management.

Die Vorträge und Präsentationen des Symposiums gingen im Weiteren spezifisch und im Detail auf die Situation der Lebensräume und die Biodiversität ein.

Was die Augewässer betrifft, so waren Mitte der 2000er Jahre im Vergleich zur Situation von 1938 rund 1/3 der Gewässer-Lebensräume der Lobau verlandet bzw. trockengefallen (T. Hein et al.). Aufgrund des in den Niedrigwasser- und Trockenphasen der letzten Jahre gehäuften, nahezu flächendeckenden Trockenfallens der Lobaugewässer, dürfte dieser Wert allerdings schon überholt sein. Den naturräumlichen Gesamtverlust an Gewässerlandschaft im Wiener Donauraum, seit der Regulierung vor nun fast 150 Jahren, zeigt eindrucksvoll eine auf Kartenanalysen beruhende Videosimulation (S. Hohensinner & D. Eberstaller-Fleischanderl, W. Graf & S. Hohensinner).

Aktuell sind von diesem Verlust vor allem die aquatische Vegetation und Flora betroffen, der einstige „Wasserpflanzen-Hotspot“ Österreichs ist akut in seinem Bestand bedroht. Gleiches gilt für die Süßwasser-Mollusken, insbesondere einige Wasserschnecken. Veränderungen in der Struktur und in der Artenzusammensetzung zeigen die Artengemeinschaften der Libellen und – nicht zuletzt – die Fischgemeinschaften (J. Czurda, M. Duda, A. Funk, I. Fischer, A. Haas, C. Komposch, D. Lindbaum, L. Schratt-Ehrendorfer, G. Unfer et al.).

Die Verlandungsvegetation verliert nun auch ihre Struktur als Übergangszone verschiedener Pflanzengesellschaften und geht in flächige Röhrichtbestände über oder liegt am Rand trockengefallener Schlamm- und Kiesböden im Bereich der ehemaligen, großen Augewässer. In der Naturgeschichte Wiens (1972) wurden diese etwa noch als „Auseen“ klassifiziert und beschrieben.

Auf die „unterirdische“, wenig bekannte, Grundwasserfauna der Lobau, immerhin eine der artenreichsten weltweit, sowie auf hydrologisch-ökologische Aspekte des Grundwasserhaushalts ging C. Griebler in einem spannenden Vortrag ein.

Sämtliche Waldvegetationstypen sind ebenfalls in Umwandlung begriffen oder haben, wie die ehemaligen Hartholzauen der Lobau, den Charakter durchschnittlicher Landwälder bzw. von Forsten angenommen. In diese Richtung gehen auch die für die Donauauen typischen „Pappelauen“, wobei neben den „Weißpappeln“ für die Lobau noch bedeutende Altbäume und relikte Bestände der gefährdeten Schwarzpappel (Populus nigra) angeführt werden können. Generell finden im Auwald der Lobau kaum mehr Überflutungen statt, ökologisch allerdings ein Wesensmerkmal der Weichholzauen, insbesondere der Pappelauen und stromnahen Weidenauen. Silberweidenwälder sind aus der Lobau bis auf wenige kleine Bestände und Einzelbäume fast ganz verschwunden, eine Folge der fehlenden Dynamik von Anlandung und Abtrag durch das Fließgewässer selbst (Habersack et al.).

Aber als Bestandteil des Nationalparks Donauauen kann der Wald alt werden, was auch in der Naturrauminventur zum Ausdruck kommt (W. Fleck, E. Hochbichler & B. Rotter). In der aktuellen Waldentwicklung treten allerdings v. a. Straucharten hervor, was im Übrigen auch für die Heißländen gilt, die zum Akutfall für die Landschaftspflege geworden sind. Diese ehemals überwiegend offenen, akzentuierten „Trockeninseln“ nehmen, zunehmend gleichförmig, den Vegetationscharakter des Umlandes an (A. Dostal, M. Kropf, M. Pintar).

Der Abendvortrag von Bernd Lötsch am 27. April wiederum fasste nicht nur viele der ökologischen Aspekte zusammen, sondern entwarf in gewisser Hinsicht ein „Sittenbild“, eines, das durchaus betroffen machte. Dies ist umso bemerkenswerter, als Bernd Lötsch vor fast 50 Jahren bei einer ähnlichen Veranstaltung die Verkehrs- und Stadtentwicklung Wiens in Bezug zur Lobau ins Visier genommen hat. Damals wie heute sind die Probleme erstaunlich ähnlich. Die Entwicklungen seither haben allerdings die Perspektiven von damals überholt, manches zum Besseren, vieles ist aber als Problem deutlicher, schärfer geworden. Ein Positivum, der Nationalpark, damals noch Idee in ersten Ansätzen, ist Realität.

Doch kann der Nationalpark die Lobau heute retten? Die Nationalparkgesellschaft schweigt angesichts der Realitätenlage und erträgt, beinahe in Selbstkasteiung, die Zwickmühle der Kompetenzen. Hier ist die mächtige Gemeinde Wien gefordert ihren ureigensten Konflikt zu lösen, nämlich zwischen dem ökologischen Management des Wassers in der Lobau insgesamt und der Nutzung des Grundwassers (als Trinkwasser-Ressource für die Stadt, wenn auch nur in „Reservehaltung“). Die Dotation der Lobau, d. h. die aktive Einleitung von Wasser aus Alter und Neuer Donau, ist seit ebenfalls etwa 50 Jahren Thema von Planungen und Projekten. Umgesetzt, und zwar nur in einer Basisvariante, ist sie seit 1992. Pläne darüber hinaus wurden aufgrund von Einsprüchen der Magistratsabteilung 31, früher Wasserwerke heute Wiener Wasser, zur Wahrung der Grundwasserqualität im wahrsten Sinne des Wortes „abgedreht“. Eine derartige technisch und sektoral argumentierte „Abwehrhaltung“ ist für die Stadtverwaltung einmalig und blockierte bis in letzter Zeit die Handlungsfähigkeit der Stadt Wien in der Sache, letztlich ein zukunftsorientiertes und modernes Management des Nationalparks in wichtigen Bereichen auf Wiener Gebiet. Die Organisatoren des Symposiums sind der Meinung, dass ein vernünftiger Kompromiss im Rahmen eines flexiblen, adaptiv angelegten Wasser-Managements in ökologischer, naturschutzfachlicher und wasserwirtschaftlicher Hinsicht möglich sein sollte. Dies schließt die Option einer extensiven, im Hinblick auf den Naturraum nachhaltigen, und den qualitativen Anforderungen entsprechenden Nutzung des Grundwassers mit ein. Hans Peter Graner, der Vorsitzende des Wiener Nationalparkbeirates, meinte in seiner Einleitungsrede am Symposium: „Nach der Dotation der Oberen Lobau mit Wasser aus der Neuen Donau muss der nächste Schritt sein, dass Dotationswasser auch die Untere Lobau mit Leben versorgt.“ In dieser Hinsicht gibt es Spielraum und Luft nach oben, nicht jedoch für die „Schutzgüter“ der Lobau, die Ökosysteme, Lebensräume und Arten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf (T. Buijse B. Cyffka, T. Hein, M. Mühlbauer).

Etwa sechs Wochen nach dem Symposium kam es zu einem persönlichen Gespräch der Organisatoren des Symposiums (u. a. Peter Weish) mit Bürgermeister Michael Ludwig und dem Bereichsleiter für Klimaangelegenheiten, Forstdirektor Andreas Januskovecz. Im Herbst soll nun, im Auftrag von Bürgermeister Ludwig, ein Arbeitskreis von Expert*innen sowie der befassten Magistratsabteilungen zusammentreten, um Lösungsvorschläge für die angeführten Probleme zu entwickeln. Wir werden darüber auf unseren Webseiten sowie im Rahmen unserer Vortragsreihe berichten.

Titelbild: © Norbert Novak

Weiterführendes:

Programm des Symposiums (Download Website NHM):
https://www.nhm.at/jart/prj3/nhm-resp/data/uploads/db/termin/Programm_2022-03-30_1203132.pdf

Zoologisch-Botanische Gesellschaft in Österreich (YouTube – Vortragsvideos):
https://www.youtube.com/channel/UC_8l2pX_Ue18dOjrCHcpzqg

Österreichischer Naturschutzbund – Auenschutz mit Strategie:
https://naturschutzbund.at/auenschutz-mit-strategie.html

Lobaumuseum – Verein für Umweltgeschichte:
http://www.lobaumuseum.wien/cms/

 

Dr. Werner Lazowski (Email: werner.lazowski@outlook.com)

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