Das Mecklenburgische Schnabeldeckelmoos, Rhynchostegium megapolitanum, und die Pazifische Leuchterflechte, Candelaria pacifica, sind Moos und Flechte des Jahres 2026. Die Wahl fiel dieses Jahr auf zwei Arten, die aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit zu anderen, häufigen Arten bisher ganz sicher oft übersehen wurden, und von denen man annimmt, dass sie sich derzeit in Deutschland ausbreiten.
Das mäßig kräftige Mecklenburgische oder Wärmeliebende Schnabeldeckelmoos bildet lockere Filze mit niederliegenden bis aufsteigenden, unregelmäßig verzweigten Stämmchen an lichten, eher trockenen und basenreichen, grasigen Standorten. Besonders im vegetativen Zustand ist es leicht mit verschiedenen anderen Arten der Familie Brachytheciaceae zu verwechseln, insbesondere mit dem an ähnlichen Stellen sehr häufigen Rauhstieligen Kurzbüchsenmoos, Brachythecium rutabulum.
Aussehen und Erkennungsmerkmale
Das Moos bildet sehr lockere, etwas glänzende Filze mittlerer Größe aus, die häufig von Gräsern durchwachsen sind. Die kräftigen Pflanzen sind hell- bis gelbgrün, kommen aber auch als Einzelpflanzen zwischen anderen Moosarten vor. Die niederliegenden bis aufsteigenden, bis zu zehn Zentimeter langen Stämmchen tragen unregelmäßig angeordnet ungleich lange, einfache oder seltener verzweigte, gelegentlich etwas verflacht beblätterte Äste. Die abstehenden bis spreizenden, locker gestellten Stammblätter sind eiförmig und in eine feine, nicht selten gedrehte Spitze ausgezogen. Der Blattrand ist fein gesägt. Die einfache, gelegentlich auch gegabelte, sich nach oben verschmälernde Rippe reicht knapp über die Blattmitte. Vereinzelt finden sich Rhizoiden am Blattgrund. Die Astblätter sind ähnlich, etwas kleiner und schmaler. Wenn die Art Sporophyten bildet – was häufig geschieht, steht die ovale Kapsel geneigt bis horizontal auf der glatten Seta - dem Kapselstiel der Sporophyten. Sie besitzt einen schief und lang geschnäbelten Deckel. Die fein gekörnten Sporen werden 12 bis 16 µm groß.
Unterscheidung von ähnlichen Arten
Die Art lässt sich von dem ähnlichen Brachythecium rutabulum und anderen Arten dieser Gattung relativ leicht anhand der Sporophyten unterscheiden: Die Seta ist glatt und der Kapseldeckel ist lang geschnäbelt. Ohne Sporophyten ist die Unterscheidung dagegen schwierig. In gut ausgeprägten Beständen ist Brachythecium rutabulum etwas kräftiger und dichter beblättert, die Blattspitze ist nur selten um 180° gedreht und die Zellen in den Blattflügeln sind etwas vergrößert und nur undeutlich von den übrigen Laminazellen abgesetzt. Rhynchostegium megapolitanum ist dagegen etwas kleiner, lockerer verzweigt und beblättert, hat häufig eine um 180° gedrehte Blattspitze und die Blattflügelzellen sind gegenüber den übrigen Laminazellen nicht vergrößert, dickwandig und deutlicher abgesetzt. Diese Merkmale zu unterscheiden, erfordern jedoch einige Erfahrung, sie sind am besten im direkten Vergleich zu sehen. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass viele Brachythecium-Arten selbst sehr variabel sind, Kümmerformen bilden und dann die genannten Merkmale schlecht zeigen.
Gründe für das Übersehen der Art
Rhynchostegium megapolitanum entspricht in Farbe, Größe und Habitus dem durchschnittlichen Bild verschiedener Brachythecium-Arten. Auch kommt es in einem breiten Spektrum von weit verbreiteten Standorten vor. Selbst wenn man nach dieser Art sucht, wird man in den meisten Fällen eher auf Brachythecium-Arten treffen. So kann R. megapolitanum, gut getarnt zwischen Brachythecium-Arten, bisweilen ein unbemerktes Dasein führen. Allerdings unterscheidet es sich in den ökologischen Ansprüchen doch etwas von Brachythecium rutabulum, so dass an manchen Stellen die Chance doch erhöht ist, auf die Art zu treffen.
Ökologie
Rhynchostegium megapolitanum liebt es warm, hell, trocken, reich an Basen und mäßig reich an Nährstoffen sowie ohne viel Konkurrenz. Es findet sich daher gerne an mageren Böschungen, Wegrändern, an offenen Stellen in Hängen, in Weinbergen, Halbtrockenrasen. Seltener taucht es an Mauern, auf Felsköpfen oder in Kiesgruben sowie in weiteren sonnigen, trockenen, mageren Standorten in Wiesen und Grasflächen aller Art auf. In ruderalen Trockenrasen kommt es bis in die Städte vor. In Norddeutschland und in den Niederlanden wächst es auf nährstoffreichen, sandigen Böden in lichten Wäldchen, Gebüschen oder an grasbewachsenen Hängen sowie auf kalkhaltigem Dünensand.
Schon 1983 fand man die Art bei bryofloristischen Arten in der Dübener Heide deutlich häufiger als nach der Literatur erwartet. 2007 wurde gezeigt, dass sich die Art im Burgenland ausgebreitet hat und man führte dies auf die Erhöhung der Temperaturen im Lauf der Klimaveränderung sowie auf erhöhte Stickstoffdepositionen zurück. Wir finden die Art also heute öfter als früher, haben aber die Überlagerung, dass wir erstens mehr auf sie achten, und dass sie zweitens wahrscheinlich wirklich häufiger wird. Dieses Beispiel zeigt schön, dass das Übersehen von Arten tatsächlich dazu führt, bestimmte Trends in der Bestandsentwicklung nicht zu erkennen.
Verbreitung und Gefährdung
Die Art ist von Nordafrika – einschließlich der Kanarischen Inseln – über das gesamte Mittelmeergebiet bis zu den Britischen Inseln und Südskandinavien sowie bis Zentral- und Südwestasien verbreitet. In Österreich sind die bekannten Vorkommen von Rhynchostegium megapolitanum weitgehend auf den Osten des Landes beschränkt, mit Angaben aus dem Burgenland und den Hainburger Bergen in Niederösterreich sowie Einzelfunden aus Wien und der Steiermark. In Deutschland kommt sie in allen Bundesländern vor mit einer Häufung in klimatisch kontinental geprägten Trockengebieten in Sachsen-Anhalt und Brandenburg einerseits sowie dem Nordwestlichen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz andererseits, was sie als wärmeliebende Tieflandart ausweist. In den Mittelgebirgen fehlt sie völlig. In der Schweiz findet sie sich vorwiegend in Becken- oder Tallagen mit der großen Masse der Populationen in der kollinen und untermontanen Höhenstufe unter 600 m.
Wegen des unvollständigen Wissens über die Verbreitung sind Angaben zur Gefährdung ebenfalls schwierig. In der Roten Liste der Laubmoose Österreichs ist sie als ausgestorben verzeichnet, was sicher nicht mehr dem aktuellen Stand entspricht: So kommt sie etwa mit steigender Tendenz im Burgenland vor. Als mögliche Gefährdungsursachen kommen alle Faktoren in Frage, die die mageren Gras-Lebensräume einschränken, wie Eutrophierung, Melioration, Umbruch, Überbauung und viele andere. Andererseits dürften sich der Art durch die Klimaerwärmung neue Lebensräume erschließen.
Biologie
Rhynchostegium megapolitanum ist einhäusig, das heißt die männlichen und weiblichen Organe finden sich auf einer Pflanze. Dadurch kommt es relativ häufig zur Ausbildung von Sporogonen. Darüber hinaus verbreitet sich die Art vegetativ durch Sprossbruchstücke.
Zur Namensgebung
Der Gattungsname leitet sich aus dem griechischen rhynchos (= Schnabel) und stegion (= Deckel) her, was auf den deutlich geschnäbelten Deckel der Kapsel bezogen ist. Der Artname bezieht sich auf den Fundort des Typus in Mecklenburg, das latinisiert zu Megalopolis bzw. Ducatus megapolitanus (= Herzogtum Mecklenburg) wurde. Die Annahme, dass "megapolitanum" in der Bedeutung "zu sehr großer Stadt gehörig" auf ein Vorkommen in Großstädten, etwa in Berlin hinweist, ist irreführend. Vielmehr geht es auf die überlieferte Bezeichnung „Magnapolis“ (= Große Burg, slawisch „Wiligrad“) für die Hauptburg des Volksstammes der Obotriten zurück, die in der Nähe des heutigen Dorfes Mecklenburg lag. Im 19. Jahrhundert übernahmen dann die mecklenburgischen Botaniker wie J. C. Timm oder G. G. Detharding den Begriff für das ganze Land und nannten ihre Florenwerke „Flora Megapolitana“. Der berühmte Bryologe Johann Hedwig nannte im Jahre 1801 eine in Mecklenburg bei Malchin entdeckte neue Moosart Timmia megapolitana, das Mecklenburgische Grobzahnmoos.
Text: Wolfgang von Brackel, Christian Berg & Norbert Stapper
Ernenner: Naturschutzbund Österreich: https://naturschutzbund.at/, Bryologisch-Lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM) e. V.: https://blam-bl.de/
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