Gewässer und Feuchtgebiete sind für zahlreiche Moosarten und eine kleinere, dafür aber hoch-spezialisierte Gruppe von Flechten unentbehrliche Lebensräume. Von Bedeutung sind nicht nur Quellen, Bäche, Flüsse, Sümpfe und Sumpfwälder, sondern auch oft inselartig verteilte und kleinflächige Sonderstandorte wie etwa langzeitig sickerfeuchte Felsen. Das Filzige Haarkelchmoos, Trichocolea tomentella, ist das Moos des Jahres 2025. Die Wahl fiel dieses Jahr auf eine Art, die die Nähe des Wassers liebt.
Die Liste der nachteiligen Eingriffe in diese Lebensräume ist lang: Neben der bewussten Trockenlegung von Feuchtgebieten zur Steigerung der land- und forstwirtschaftlichen Produktivität ist die Entnahme von Grundwasser ein wichtiger Gefährdungsfaktor für die an Gewässer und Feuchtgebiete gebundenen Moose und Flechten. Lange Zeit spielte der vor allem aus der Kohleverfeuerung stammende „saure Regen“ eine wichtige Rolle bei der Versauerung selbst abgelegener Quellen und Bachoberläufe. Obwohl sich die Gewässer vielerorts spürbar von der Versauerung erholen und die Azidität sich natürlicheren Werten wieder anzunähern beginnt, erfolgt eine Wiederbesiedlung durch spezialisierte Moose und Flechten nur langsam.
Filziges Haarkelchmoos ist Moos des Jahres 2025
Das Filzige Haarkelchmoos bildet grüne bis gelbgrüne lockere Decken von samtigem oder schwammigem Aussehen an sehr feuchten Standorten in Wäldern. Durch die feine Fiederung und das samtige Aussehen ist das wohl schönste heimische Lebermoos an diesem Standort kaum zu verwechseln.
Aussehen
Lebermoose, zu denen auch das Filzige Haarkelchmoos gehört, bilden bis zu mehrere Quadrat-dezimeter große, grüne bis gelbgrüne, lockere Decken auf dem Waldboden – oft vermischt mit anderen Moosen. Die einzelnen Pflanzen sind regelmäßig 2- bis 3-fach gefiedert, wobei die Äste fast rechtwinklig vom Stämmchen abstehen. Das samtige Aussehen rührt daher, dass das Moos fein zerschlitzten Blättchen sowie lang gewimperte Paraphyllien besitzt – so nennt sich die Struktur an Stämmchen und Ästen – die gemeinsam einen regelmäßigen, dichten Filz bilden. Die kriechenden, 5 bis 15 cm langen Stämmchen fächern sich an den Enden mit ihren Ästchen wedelartig auf und erreichen dort eine Breite von bis zu 2 cm. Die am Stämmchen locker, an den Ästchen dicht unterschlächtig gestellten Blättchen sind in 4 bis 5 schmale, am Grunde nur wenige Zellen breite Blattlappen geteilt, die wiederum in 1- bis 2-fach verzweigte, dann einzellreihige Wimpern zerteilt sind.
Verwechslungen sind - wenn überhaupt – mit den Arten der Federchenmoose, Ptilidium, möglich, die aber aus insgesamt kleineren, nicht so regelmäßig 1- bis2-fach geteilten Pflanzen bestehen. Diese sind meist auch nicht rein grün, sondern gebräunt bis kupferfarben eingefärbt. Sie kommen zudem an trockeneren Standorten vor. Den habituell etwas ähnlichen Tamarisken-Thujamoos, Thuidium tamariscinum, fehlt das samtige Aussehen, da es keine fein zerschlitzten Blättchen aufweist.
Ökologie
Trichocolea tomentella liebt es feucht und schattig. Außer in den besonders luftfeuchten Lagen der höheren Gebirge, wo die Art auf Waldboden und Totholz vorkommt, ist es an Wälder mit sumpfigem Boden, Quellhänge oder Bachläufe gebunden. Das Filzige Haarkelchmoos wächst dabei sowohl auf dem Waldboden wie auch auf bodennahem Totholz oder übererdeten Felsen. Bevorzugt werden basenreiche aber kalkarme, schwach saure Standorte. In entwässerten Wäldern findet sich die Art – wenn überhaupt – nur an den Rändern der Bach- bzw. Grabenufer. Das Filzige Haarkelchmoos kommt gemeinsam mit anderen feuchtliebenden Arten wie Plagiomnium undulatum, Pellia endiviifolia, Plagiochila asplenioides, Rhizomnium punctatum aber auch Thuidium tamariscinum und großen Eurhynchium-Arten vor.
Verbreitung und Gefährdung
Das Filzige Haarkelchmoos ist beinahe weltweit verbreitet, wobei die Schwerpunkte in Nordamerika, Europa und Südostasien liegen, während Südamerika, Afrika und Australien mehr oder weniger gemieden werden. In Europa zeigt die Art eine subozeanische Verbreitung und meidet sowohl den hohen Norden wie den extremen Süden fast völlig. Sie kommt in einem mehr oder weniger geschlossenen Areal von Nordspanien und Mittelitalien sowie Korsika bis nach Schottland und ins südliche Skandinavien vor. In der West-Ost-Richtung erstreckt sich die europäische Verbreitung von Irland und Portugal bis zum Kaukasus und nach Karelien. In Mitteleuropa liegen die Schwerpunkte des Vorkommens in den Mittelgebirgen und in den Alpen, wenn sie auch in der Ebene nicht völlig fehlt. In Deutschland kommen die aktuellen Funde aus den Gebirgen.
Für den Rückgang der Art sind in erster Linie die Entwässerung der Wälder sowie der Umbau in Nadelholzmonokulturen und die damit verbundene Versauerung zu nennen. Die weitere Versauerung großer Teile der Böden Mitteleuropas durch die sauren Niederschläge in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat ein Übriges getan. Die öfter zu beobachtenden kleinen Restbestände der Art an Waldbächen und -gräben sind selten überlebensfähig und verschwinden einer nach dem anderen.
In der deutschen Roten Liste der Moose ist die Art als „gefährdet“ eingestuft, während sie in der Roten Liste der Lebermoose Österreichs nicht erscheint. Die Rote Liste der Moose der Schweiz stuft die Art als „potenziell gefährdet“ ein.
Fortpflanzung
Trichocolea tomentella ist zweihäusig, d.h. es gibt männliche und weibliche Pflanzen. Da erstere in Mitteleuropa sehr selten sind, kommt es auch kaum zur Sporogonbildung, was so viel heiß wie geschlechtliche Vermehrung mit Fruchtkörperbildung. In Baden-Württemberg beispielsweise wurden nach 1900 keine Sporogone mehr beobachtet. So kann nur noch eine ineffektive Nahverbreitung über Sprossbruchstücke erfolgen. Eine Neubesiedlung von Lebensräumen ist damit sehr schwierig geworden.
Text: Wolfgang von Brackel, Holger Thüs
Ernenner: Naturschutzbund Österreich, Bryologisch-Lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM) e. V.
Bilder: Alle Bilder auf dieser Seite dürfen für Pressezwecke in Zusammenhang mit Berichten über die Natur-des-Jahres-Themen unter Angabe der Bildquelle verwendet werden. Wir bitten Sie um ein Belegexemplar. Weitere Bilder finden Sie hier.