Das sparrige Kleingabelzahnmoos bildet weiche, gelbgrüne Rasen und ist mit seinen aus breitscheidigem Grund sparrig zurückgekrümmten zungenförmigen Blättern eine auffällige Erscheinung in nährstoffarmen Quellfluren oder ähnlichen Lebensräumen. Der Naturschutzbund und die Bryologisch-lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V. haben es zum Moos des Jahres 2022 ernannt.
Aussehen
Die Art tritt in 1‒10 cm großen, weichen, gelbgrünen Rasen auf. Die Stängel sind aufrecht und gleichmäßig spiralig beblättert. Die sparrig zurückgebogenen Blätter sind zugespitzt zungenförmig und verschmälern sich aus breit-scheidiger Basis in eine teilweise kapuzenförmige, meist stumpfliche Spitze. Die dünne Rippe schwindet vor der Spitze, die Blattzellen sind locker, glatt bis schwach mamillös, dünnwandig und verlängert, nach der Spitze zu werden sie kürzer. Die Art fruchtet selten, dann trägt die rote Seta eine geneigte, hochrückige Kapsel. Gelegentlich treten rundliche, rötlich-braune Rhizoidgemmen auf.
Verwechslungen sind möglich mit den oberflächlich ähnlichen Arten Meesia triquetra und Paludella squarrosa, die aber deutlich seltener sind und in basenhaltigen Übergangsmooren vorkommen. Das ebenfalls ähnliche, basenliebende Dichodontium pellucidum, auch an feuchten bis nassen Standorten vorkommend und weiter verbreitet, ist durch gezähnte, nicht scheidige Blätter und mamillös-papillöse, isodiametrische Blattzellen zu unterscheiden.
Ökologie
Diobelonella palustris ist eine kalkmeidende Art und wächst in montan-subalpinen Quellfluren sowie an Bach- und Grabenrändern. Die Art ist sehr empfindlich gegenüber Austrocknung und an kalte Standorte mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von etwa 4°C angepasst.
Verbreitung und Gefährdung
Die Art ist über die Nordhalbkugel verbreitet (Europa, Nordamerika, Asien). In Europa kommt sie von Spitzbergen bis nach Sizilien und von der irischen Westküste bis zum Kaukasus vor. In Mitteleuropa tritt sie vor allem in den höheren Mittelgebirgen und in den Alpen auf, vom Harz bis in die Südalpen; Eine Verbreitungskarte für Deutschland findet sich bei Meinunger & Schröder (2007). Häufig ist sie nur in den Zentralalpen, wo sie von Tallagen um 300 m vereinzelt bis 2800 m aufsteigt (Müller & Roloff 2021, mit Verbreitungskarte für die Schweiz). Die Bestände in den Mittelgebirgen gehen deutlich zurück. Deutschlandweit ist die Art als „gefährdet“ eingestuft, in der Schweiz und in Österreich ist sie nicht bzw. nur regional gefährdet.
Ursachen für die Gefährdung sind Entwässerungen von Mooren und Quellfassungen sowie Verbuschung und Bewaldung von Wiesenmooren. Wahrscheinlich wird die Art auch ein Verlierer des Klimawandels sein, da auch die Quellen immer wärmer werden.
Biologie
Die Art fruchtet in Mitteleuropa selten, dennoch ist sie mancherorts in der Lage, Sekundärhabitate wie nasse Wegränder oder Straßengräben relativ schnell zu besiedeln.
Namensgeschichte
Die Art hat eine reiche nomenklatorische Geschichte hinter sich. Bereits 1801 von Dickson als Bryum palustre und zwei Jahre später von Starke als Dicranum squarrosum beschrieben, wurde der zweite Name bereits 1804 wieder eingezogen. 1871 hat Hampe die Gattung Diobelon aufgestellt und zwei Jahre später in seiner Flora Hercynica den Namen Diobelon squarrosum für unsere Pflanze verwendet. Da sich der Gattungsname Diobelon als illegitim herausstellte, wurde auch die von Lindberg 1879 verwendete Kombination unter Anisothecium als A. squarrosum hinfällig. Erst 1915 wurde von Hagen die Art zu Anisothecium gestellt. Diese Gattung basiert gänzlich auf Sporophytenmerkmalen, galt deshalb oft als schwach begründet und wird aktuell kaum noch anerkannt. Fast 50 Jahre später (1962) wurde dann unsere Pflanze zu Dicranella (Kleingabelzahnmoos) gestellt, zu der sie morphologisch allerdings genauso wenig gut passt wie zur Gattung Anisothecium, die als Synonym von Dicranella betrachtet wird. Erste genetische Untersuchungen von Stech (1999) zeigten, dass die Art näher bei Dichodontium (Paarzahnmoos) steht, weshalb sie in diese Gattung als Dichodontium palustre umkombiniert wurde. Ochyra et al. (2003) weisen jedoch auf die anatomischen Unterschiede hin und bringen unsere Art in der neuen Gattung Diobelonella unter. In einer neueren genetischen Untersuchung (Santos et al. 2021) steht Diobelonella neben Dichodontium als eigene Gattung und wird zur Familie der Aongstroemiaceae gerechnet, zuvor auch in den Familien Dicranaceae und Dicranellaceae geführt. Erst kürzlich wurde eine zweite Art aus tropischen Gebirgen Asiens, Diobelonella rotundata, zu dieser Gattung gestellt.
Links
https://www.gbif.org/species/7598487
https://de.wikipedia.org/wiki/Diobelonella_palustris
https://swissbryophytes.ch/index.php/de/verbreitung?taxon_id=nism-1173
Literatur
Meinunger, L. & Schröder, W. 2007. Verbreitungsatlas der Moose Deutschlands. − 3 Bde., Regensburg.
Müller, N. & Roloff, F. 2021. Diobelonella palustris (Dicks.) Ochyra. ‒ In: Swissbryophytes Working Group (Hrsg.) Moosflora der Schweiz. ‒ www.swissbryophytes.ch, compiled 01/02/2021. https://doi.org/10.5167/uzh-204194
Ochyra, R., Źarnowiec, J. & Bednarek-Ochyra, H. 2003. Census Catalogue of Polish Mosses. ‒ Polish Academy of Sciences, Institute of Botany, Kraków.
Santos, M.B., Fedosov, V., Hartman, T., Fedorova, A., Siebel, H. & Stech, M. 2021. Phylogenetic inferences reveal deep polyphyly of Aongstroemiaceae and Dicranellaceae within the haplolepideous mosses (Dicranidae, Bryophyta). ‒ Taxon 70(2): 246-262. DOI: 10.1002/tax.12439.
Sauer, M. 2001. Dicranaceae. – In: Nebel, M. & Philippi, G. (Hrsg.) Die Moose Baden-Württembergs. – 3 Bände, Stuttgart.
Stech, M. 1999. Dichodontium palustre (Dicks.) Stech comb. nov., a new name for Dicranella palustris (Dicks.) Crundw. ex Warb. (Dicranaceae, Bryopsida). ‒ Nova Hedwigia 69(1-2): 237-240.
Weitere Informationen über Moose bei der Bryologisch-lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V.
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