2022: Schwarzhalsige Kamelhalsfliege

(Venustoraphidia nigricollis)

Das Insekt des Jahres wird seit 1999 proklamiert. Ein Kuratorium, dem namhafte Insektenkundler und Vertreter wissenschaftlicher Gesellschaften und Einrichtungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz angehören, wählt jedes Jahr aus verschiedenen Vorschlägen ein Insekt aus. Der Naturschutzbund Österreich ist seit Beginn mit dabei.

© Harald Bruckner

Beschreibung
Ein auffallend langer Hals, glasklare Flügel und eine Größe von sechs bis 15 mm kennzeichnen alle Kamelhalsfliegen (Raphidioptera). Diese Tiere sind die artenärmste Ordnung der Insekten mit vollkommener Verwandlung (Holometabola); weltweit sind nur etwa 250 Kamelhalsfliegen-Arten bekannt.

In Mitteleuropa sind es bislang 16 beschriebene Arten – eine davon ist die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege Venustoraphidia nigricollis. Lange Zeit galt diese Art als eine der seltensten Kamelhalsfliegen – bis man erkannte, dass sich die adulten Tiere mit dem charakteristischen schwarzen Halsschild überwiegend in der Kronenschicht von Bäumen aufhalten. Man erkennt sie an ihrer geringen Größe (Vorderflügellänge max. 8,5 mm, meist unter 7,5 mm), dem gänzlich schwarzen Halsschild, der besonders langen und schlanken Vorderbrust, den glasklaren Flügeln mit lockerem Geäder und dem rauchig-ockerbraunen Flügelmal.

Sämtliche Kamelhalsfliegen sind in allen Lebensstadien Landbewohner. Die geschlechtsreifen Insekten sind tagaktiv und ernähren sich häufig von Blatt- und Schildläusen. Bei einer ausreichenden Populationsdichte können rindenlebende Kamelhalsfliegen-Larven als natürliche Regulatoren – z. B. gegen den Borkenkäfer – nützlich sein. Trotz ihrer gut entwickelten Flügel sind die Tiere dennoch keine guten Flieger, sondern bewegen sich eher schwirrend, hüpfend oder flatternd und nie über große Strecken.

Lebensraum und Verbreitung
Kamelhalsfliegen kommen ausschließlich auf Teilen der Nordhemisphäre vor, da sie für ihre Entwicklung einen deutlichen Temperaturabfall benötigen, wie er beispielsweise im mitteleuropäischen Winter stattfindet. Aus den vielen fossilen Funden kann man schließen, dass diese Insekten in früheren geologischen Perioden, zu Zeiten der Dinosaurier, viel weiter verbreitet und artenreicher waren. Deren Aussehen ähnelte dem der heutigen Arten bereits sehr. Man kann die Kamelhalsfliegen daher auch als „lebende Fossilien“ bezeichnen.

Kamelhalsfliegen sind grundsätzlich standorttreue Insekten. Sie breiten sich – wenn überhaupt – nur langsam durch aktive Wanderung aus. Wahrscheinlich spielt Verdriftung durch Wind eine wesentliche Rolle.

© Harald Bruckner

Vorkommen in Österreich
Ein besonderes Beispiel für das Vorkommen von Kamelhalsfliegen liegt im Zentrum von Wien: Umgeben von brausendem Verkehr haben sich auf dem Maria-Theresien-Platz in der österreichischen Haupstadt in den dort stehenden Kiefern zwei Kamelhalsfliegen-Arten angesiedelt. Weltweit einmalig ist ein beobachtetes Massenauftreten der schlanken Insekten rund um einen mehrere Jahrhunderte alten Bauernhof in Oberösterreich. Auf 800 Metern Höhe hat sich hier eine aus dem Mittelmeerraum eingeschleppte Art niedergelassen, deren geschlechtsreife Tiere während der Paarungszeit von Mai bis Juli in großer Anzahl zu beobachten sind.

Entwicklung
Die Kamelhalsfliegen sind die artenärmste Ordnung der Insekten mit vollkommener Verwandlung mit Ei, Larve, Puppe und Imago. Ein Weibchen kann einige hundert Eier legen, in mehreren Gelegen von einigen wenigen bis etwa 200 Eiern. Die Eier sind hellgelb, zigarrenförmig und ca. 1 mm lang. Die ersten Larven schlüpfen nach etwa 6 bis 10 Tagen, bleiben zunächst noch etwa einen Tag beisammen und begeben sich dann einzeln auf Nahrungssuche. Rindenlebende Larven können bei ausreichend hoher Populationsdichte gegen Borkenkäfer und Obstbaumschädlinge wirken. Die Entwicklung vom Ei bis zur Imago dauert mindestens ein Jahr, zumeist zwei, häufig drei (und auch mehr) Jahre. Die Zahl der Larvenstadien ist nicht fixiert, sie schwankt zwischen 9 und 15. Bei den meisten Arten überwintert die Larve zweimal. Sie verändert nach der zweiten Überwinterung ihr Aussehen, d. h. sie wird präpupal, biegt den Vorderkörper nach unten und wird unbeweglich. Nach einigen Tagen verpuppt sie sich, und nach weiteren zwei Wochen wird die Puppe beweglich. Nach ein bis drei Tagen häutet sie sich zur Imago.

Wissenswertes
Kamelhalsfliegen gehören zu den Netzflüglern und gelten heute als die artenärmste Ordnung von Insekten mit vollkommener Verwandlung. Aus den vielen fossilen Funden lässt sich aber ableiten, dass  diese Insekten zu Lebzeiten der Dinosaurier in viel größerer Vielfalt auf der Erde vertreten waren

Weiterführendes
Um dem Insektensterben entgegenzuwirken, braucht es strategischen Naturschutz: Die Broschüre „Insektensoforthilfe“ mit praktischen Tipps zum Insektenschutz

© Cajetan Perwein BMK

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hat bei einem Treffen mit Naturschutzbund-Vizepräsident Hannes Gepp und den Entomologen Ulrike und Horst Aspöck offiziell die Schirmherrschaft für das diesjährige Insekt des Jahres – die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege – übernommen.

Sämtliche Inhalte (Fotos ausschließlich mit Copyright) dürfen für Berichte über die Arten des Jahres verwendet werden. Wir freuen uns über ein Belegexemplar!

 

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