2020: Finger-Scharlachflechte

(Cladonia digitata)

Die Finger-Scharlachflechte ist eine durch die roten Fruchtkörper (Apothecien) und die großen, randlich hochgebogenen und unterseits bis zum Rand mehligen Grundschuppen leicht erkennbare Art. Sie findet sich überwiegend auf morschem Holz und am Stammfuß von Bäumen, vor allem von Kiefern, Fichten und Birken.

© Nobert J. Stapper

Aussehen
Wie die meisten Becher-, Säulen- und Scharlachflechten ist auch die Finger-Scharlachflechte in ein grundständiges, schuppiges Lager und ein aufrechtes Stämmchen (Podetium) gegliedert. Die dichtstehenden, oft überlappenden Grundschuppen sind 10 mm groß, breit abgerundet, oben glatt und grau bis grünlichgrau, unten bis zu den aufgewölbten Rändern dicht mehlig-sorediös und weißlich. Die sehr unterschiedlich ausgebildeten, im unteren Teil berindeten und im oberen Teil mehlig-sorediösen Podetien können kurz und stiftförmig oder deutlich ausgebildet mit breiten, flachen und geschlossenen Bechern sein; die Becher tragen an den Rändern oder an fingerförmigen Fortsätzen (daher der Name) rote Fruchtkörper (Apothecien und/oder Pyknidien).

Von ähnlichen rotfrüchtigen Scharlachflechten ist die Finger-Scharlachflechte durch die Kombination aus sehr großen, gerundeten, unterseits mehlig-sorediösen Grundschuppen und die Ausbildung von Bechern unterschieden.

Ökologie
Die Finger-Scharlachflechte kommt auf sehr unterschiedlichen Substraten vor, denen allen jedoch die Armut an Basen und an Nährstoffen gemein ist. In Mitteleuropa ist ihr wichtigster Wuchsort der Stammfuß von Bäumen mit saurer Borke, vor allem Kiefern, Fichten und Birken. Daneben werden morsche Baumstümpfe und morsches Totholz, aber auch Rohhumus, Torf und humose Mineralböden sowie Moose besiedelt. Sie bevorzugt einigermaßen hohe Luftfeuchtigkeit, ist aber wenig empfindlich gegenüber Trockenheit. Durch ihre hohe Toxitoleranz und das Vordringen der Nadelholz-Monokulturen konnte sie sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in unseren Wäldern ausbreiten.

© Wolfgang von Brackel

Verbreitung und Gefährdung
Cladonia digitata ist von der mediterranen bis zur arktischen Zone der nördlichen Halbkugel verbreitet und kommt in Nordamerika, Europa und Asien vor; sie zeigt eine deutliche Präferenz für kühl-temperierte Gebiete. Nur wenige Funde gibt es von der Südhalbkugel (Afrika, Neuseeland). In Europa kommt sie von den höheren Gebirgen Siziliens bis an die Nordspitze von Spitzbergen vor.

Wegen ihrer weiten Verbreitung, der relativ hohen Toxitoleranz und des Vorkommens auf reichlich vorhandenem Substrat gilt die Art zumindest in Mitteleuropa als nicht gefährdet. Wie sie mit der zunehmenden allgemeinen Eutrophierung und der Klimaerwärmung zurechtkommt, muss die Zukunft zeigen; ein Rückzug aus besonders mit Stickstoffverbindungen belasteten und aus trocken-warmen Gebieten ist zu erwarten.

Biologie
Die Finger-Scharlachflechte verbreitet sich überwiegend über Soredien. Diese vegetativen Verbreitungseinheiten werden auf der Unterseite der Grundschuppen und an den Podetien aus dem Mark gebildet und bestehen aus kleinsten, wattigen Kügelchen, die sowohl Hyphen des Flechtenpartners wie auch Algen enthalten. Sie werden dank ihres geringen Gewichts leicht vom Wind verbreitet und können, wo sie auf geeignete Bedingungen treffen, wieder zu vollständigen Flechten auswachsen. Unter guten Bedingungen bildet sie auch Apothecien aus und verbreitet sich generativ durch Ascosporen.

Die Art enthält unter anderen sekundären Metaboliten (Inhaltsstoffen) als bekanntesten Thamnolsäure. Zusammen mit den in der Flechte enthaltenen Alkaloiden, Tanninen, Saponinen, Glykosiden, Flavonoiden, Anthraquinonen und Terpenen bildet sie einen antibakteriellen und als Antioxidans wirkenden Cocktail. Möglicherweise schützt der Gehalt an Thamnolsäure die Flechte auch vor hoher Belastung durch Säure, was ihre Toxitoleranz erklären würde.

© Wolfgang von Brackel

Parasiten, Nutzung und Medizin
Cladonia digitata ist als Wirt einer Vielzahl flechtenbewohnender Pilze bekannt. Am häufigsten wird sie jedoch von Arthonia digitatae und Milospium lacoizquetae befallen, die gerne zusammen vor allem auf den Grundschuppen auftreten und dort eine typische Braunfärbung verursachen.

Wegen der antimikrobiellen Wirkung ihrer Inhaltsstoffe wird die Flechte (wohl zusammen mit anderen Arten) in der traditionellen afrikanischen Medizin (Zimbabwe) zur Wundbehandlung eingesetzt.

Wolfgang von Brackel

Cladonia digitata im Internet (externe Angebote)

1) https://www.gbif.org/species/2607722 [weltweite Verbreitungskarte]

2) https://lichenportal.org/cnalh/taxa/index.php?taxauthid=1&taxon=53403&clid=1212 [Beschreibung, Verbreitungskarte]

3) http://dryades.units.it/italic/index.php?procedure=taxonpage&num=617 [Beschreibung, reiche Bildergalerie]

4) http://www.lichens.lastdragon.org/Cladonia_digitata.html [Bibliographie, schöne Bildergalerie]

 Die Flechte des Jahres wird vom Naturschutzbund Österreich und der Bryologisch-lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V. ernannt. Weitere Informationen über Flechten bei der Bryologisch-lichenologische Arbeitsgemeinschaft  für Mitteleuropa e.V. 


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