2019: Breitlappige Schüsselflechte

(Parmotrema perlatum)

In den letzten Jahren wurde jeweils eine Flechte und ein Moos vorgestellt, die charakteristisch für einen bestimmten Standort wie Kalkfelsen oder Moore sind. In diesem Jahr kann sich auch die Bryologisch-Lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM) e. V. nicht der hochaktuellen Problematik der Auswirkungen des Klimawandels auf die Organismen in unserer Umwelt entziehen. Die beiden gewählten Arten, die Flechte Parmotrema perlatum und das Moos Cryphaea heteromalla, mögen dafür als Beispiel dienen.

Die Breitlappige Schüsselflechte, Parmotrema perlatum, ist die Flechte des Jahres 2019. Sie ist ein durch die langen schwarzen Zilien leicht kenntlicher Rindenbewohner von Laubbäumen in lichten Laubwäldern und im Offenland in milden, vorwiegend ozeanisch getönten Lagen.

Aussehen
Das in trockenem Zustand grauweiße, feucht grünliche Lager ist in breite, gerundete Lappen gegliedert, deren Ränder wellig gebuchtet, zurückgebogen und vor allem an den Lappenenden mit mehr oder weniger kopfigen Randsoralen besetzt sind. Die mit einfachen Rhizinen (wurzelähnlichen Gebilden) besetzte Unterseite ist schwarz bis auf eine hellere rhizinenlose Randzone. Besonderes Kennzeichen sind die feinen, langen, schwarzen Zilien, die sich an den Lappenrändern entwickeln und nur gelegentlich fehlen. Die für die Familie der Parmeliaceen typisch schüsselförmigen Apothecien (Fruchtkörper) kommen bei uns nur sehr selten vor.
 
Von den anderen, bei uns viel selteneren Arten der Gattung sowie von ähnlichen Gattungen der Parmeliaceae (Cetrelia, Hypotrachyna, Platismatia) ist sie durch die Kombination folgender Merkmale unterschieden: Vorhandensein schwarzer Zilien und kopfiger Randsorale, Fehlen von Pseudocyphellen oder ähnlichen Strukturen auf der Thallusoberseite, Fehlen von Isidien und die Gelbfärbung von Rinde und Mark bei Zugabe von Kalilauge.
 
Ökologie
Die Breitlappige Schüsselflechte siedelt vorwiegend auf der Rinde von Laubbäumen und –sträuchern in lichten Laubwäldern und im Offenland in relativ niederschlagsreichen, gerne ozeanischen Lagen. Vor allem an der Küste (etwa auf den Britischen Inseln, in Skandinavien oder in Italien) kommt sie auch an Silikatfelsen oder gar auf Torf vor. Sie gilt als empfindlich gegenüber SO2-Immissionen. Dies wird dadurch unterstrichen, dass die Art in vielen Ländern wieder zunimmt, in Polen dagegen (wo weiterhin in großem Stil Braunkohle verfeuert wird) aber offenbar kurz vor dem Aussterben steht oder bereits ausgestorben ist.
 
Verbreitung und Gefährdung
Parmotrema perlatum ist eine über beide Hemisphären verbreitete temperat-subatlatische Art. Sie ist aus allen Kontinenten außer der Antarktis bekannt.1) In Europa kommt sie von Sizilien bis Norwegen und von Portugal bis zur Ukraine vor. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts war die Art aus vielen Regionen Mitteleuropas nahezu verschwunden. Erst mit der Besserung der lufthygienischen Situation (bezüglich der Schwefeloxide) konnte sie wieder einwandern.
 
In Österreich gilt die Breitlappige Schüsselflechte als "gefährdet" (3). In der Roten Liste der Flechten Deutschlands wird sie nur noch auf der Vorwarnliste geführt, während sie in der Vorgängerliste von 1996 noch als "stark gefährdet" (2) galt. In der Schweiz gilt sie als "verletzlich" (VU).
 
Biologie
Parmotrema perlatum verbreitet sich fast ausschließlich über Soredien. Diese vegetativen Verbreitungseinheiten werden unter Aufbrechen der Rinde aus dem Mark gebildet und bestehen aus kleinsten wattigen Kügelchen, die sowohl Hyphen des Flechtenpartners wie auch Algen enthalten. Sie werden dank ihres geringen Gewichts leicht vom Wind verbreitet und können, wo sie auf geeignete Bedingungen treffen, wieder zu vollständigen Flechten auswachsen. Gelegentlich, wohl nur unter optimalen Wuchsbedingungen, verbreitet sie sich auch generativ durch Ascosporen.
 
Die Art enthält zahlreiche sekundäre Metaboliten (Inhaltsstoffe), darunter vor allem Atranorin und Stictinsäure, die antimikrobielle Wirkungen haben und zum Schutz gegen Angriffe von Bakterien dienen.
 
Parasiten, Nutzung und Medizin
Parmotrema perlatum ist als Wirt einer ganzen Reihe flechtenbewohnender Pilze bekannt: Abrothallus parmotrematis, Briancoppinsia cytospora, Cornutispora lichenicola, Lichenoconium erodens, Phyllosticta lichenicola, Polycoccum montis-wilhelmii, Sphaerellothecium parmotremae und Zwackhiomyces kantvilasii.
 
Die Art wird in Indien als Gewürz ("Black Stone Flower", "Dagar Phool") für verschiedene Fleischgerichte sowie in der traditionellen Medizin asiatischer Länder genutzt.1) Eventuell ist dies auf die antimikrobielle Wirkung ihrer Inhaltsstoffe zurückzuführen. Diese machen sie für medizinische Zwecke interessant, zumal für Stictinsäure auch eine tumorhemmende Wirkung nachgewiesen wurde.
 
Links:
1) https://en.wikipedia.org/wiki/Parmotrema_perlatum
http://www.lichens.lastdragon.org/Parmotrema_perlatum.html
 
Literatur:
JABŁOŃSKA, A., OSET, M. & KUKWA, M. 2009. The lichen family Parmeliaceae in Poland. I. The genus
Parmotrema. – Acta Mycologica 44: 211–222.
LOUWHOFF, S. H. J. J. 2009. Parmotrema. – In: SMITH, C. W., APTROOT, A., COPPINS, B. J., FLETCHER,
A., GILBERT, O. L., JAMES, P. W. & WOLSELEY, P. A. (Eds). The Lichens of Great Britain and Ireland. –
British Lichen Society, London: 661–663.
RANKOVIĆ, B. 2015. Lichen secondary metabolites. – Springer, Heidelberg, New York, Dordrecht,
London.
REVATHY, M., SATHYA SHREE, S., MANIMEKALA, N., ANNADURAI, G. & AHILA, M. 2015. Preliminary
phytochemical investigation and antibacterial effects of lichen Parmotrema perlatum aganist human
pathogens. – European Journal of Biomedical and Pharmaceutical Sciences 2: 336–347.
WIRTH, V., HAUCK, M. & SCHULTZ, M. 2013. Die Flechten Deutschlands. – E. Ulmer,

Die Flechte des Jahres wird vom Naturschutzbund Österreich und der Bryologisch-lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V. ernannt. Weitere Informationen über Flechten bei der Bryologisch-lichenologische Arbeitsgemeinschaft  für Mitteleuropa e.V. 


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