Die Pazifische Leuchterflechte, Candelaria pacifica, und das Mecklenburgische Schnabeldeckelmoos, Rhynchostegium megapolitanum, sind Flechte und Moos des Jahres 2026. Die Wahl fiel dieses Jahr auf zwei Arten, die aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit zu anderen, häufigen Arten bisher ganz sicher oft übersehen wurden, und von denen man annimmt, dass sie sich derzeit in Deutschland ausbreiten.
Leuchterflechten
Die Leuchterflechten der Gattung Candelaria sind trotz der geringen Größe der einzelnen Individuen auffällige Bewohner der Rinde freistehender Laubbäume, da sie in der Regel in größeren Beständen auftreten und durch ihre leuchtend gelbe Farbe auffallen. Lange galt die Gewöhnliche Leuchterflechte als der einzige Vertreter der Gattung in Europa bis 2002 die Pazifische Leuchterflechte, Candelaria pacifica, aus Nordamerika beschrieben und auch für Europa nachwiesen wurde.
Aussehen und Verwechslungsmöglichkeiten
Die Pazifische Leuchterflechte bildet mehr oder weniger ausgedehnte Bestände aus kleinen gelben Lagern, die teils locker dem Substrat aufliegen, vorwiegend aber deutlich, fast aufrecht von ihm abstehen. Sie sind in kleine Schuppen aufgelöst bzw. in Läppchen zerschlitzt, an deren Rändern und teils auch auf der Fläche meist reichlich Blastidien, also asexuelle Reproduktionsstrukturen, gebildet werden, die der Verbreitung dienen.
Die Unterseite ist unberindet, daher wird das spinnwebige Mark sichtbar, aus dem wenige zarte rhizinenartige Bündel entspringen. Da die Algen nicht durch eine Rinde verdeckt werden, erscheint die Unterseite zumindest feucht grünlich bis dunkelgrün, während sie in trockenem Zustand eher weißlich ist. Die Ascomata, die Fruchtkörper, die der sexuellen Vermehrung dienen, enthalten achtsporige Asci, treten aber in Europa nur extrem selten auf. Asci sind die Schläuche, in denen die Sporen gebildet werden.
Candelaria pacifica kann mit verschiedenen anderen gelben Rindenflechten verwechselt werden. Leicht lässt sich die Gelbe Wandflechte, Xanthoria parietina, wegen der großen, breitlappigen Lager abtrennen. Weniger einfach ist das bei der ähnlichen Leuchter-Gelbflechte, Polycauliona candelaria, die sich, wie alle Wand- und Gelbflechten-Arten, aufgrund spezifischer Inhaltsstoffe bei Betupfen mit Kalilauge (KOH) sofort tiefrot färbt. Bei den Leuchterflechten jedoch bestehen die auf der Oberrinde abgelagerten gelben Kristalle unter anderem aus Pulvinsäure-Derivaten, die ihre Farbe bei Zugabe von KOH nicht verändern. Zur Unterscheidung von den ebenfalls nicht mit KOH reagierenden Dotterflechten, Candelariella, lässt sich dieses Merkmal nicht verwenden. Die rindenbewohnenden Arten dieser insgesamt recht schwierigen Gruppe bilden jedoch, wenn überhaupt, nur sehr kleine, deutlich dem Substrat anliegende Schüppchen aus. Je nach Art können diese Schüppchen mehr oder weniger deutlich ausgebildet sein oder auch gänzlich fehlen. Candelariella reflexa bildet kleine, manchmal rosettenartige Schüppchen (Areolen), in deren Zentrum Soredien gebildet werden. Die Ähnlichkeit mit Candelaria dürfte der Grund dafür sein, dass vereinzelt Exemplare von Candelaria pacifica als "Candelariella reflexa" in Herbarien abgelegt wurden.
Am ehesten zu verwechseln ist die Art mit Candelaria concolor und viele ältere unter diesem Namen abgelegte Herbarbelege gehören wohl zu Candelaria pacifica. Da C. pacifica bei uns nur steril auftritt, kann die Anzahl der Sporen pro Ascus als Merkmal nicht herangezogen werden – bei C. concolor sind sie vielsporig. Als bereits im Gelände brauchbares Merkmal erweist sich die spinnwebige, feucht grüne, unberindete Unterseite mit sehr zarten, rhizinenartigen Strukturen. Bei der Schwesterart ist die berindete Unterseite glänzend weiß und aus ihr entspringen kräftige wurzelartige Strukturen, sogenannte Rhizinen. Die Lager von Candelaria concolor sind deutlich kräftiger, die Läppchen sind ziemlich regelmäßig mehrfach zerteilt und eher dem Substrat anliegend, während sie bei C. pacifica kleiner, kaum oder unregelmäßig zerteilt, eher aufrecht und oft sehr reichlich mit Blastidien besetzt sind. Im Zweifelsfall bringt die mikroskopische Betrachtung eines Schnitts Klarheit über das Vorhandensein oder Fehlen einer Unterrinde.
Die verwandtschaftlichen Beziehungen innerhalb der Candelariales sind trotz molekularer Untersuchungen einiger Arten nicht abschließend geklärt, sodass sich hier in Zukunft sicher noch nomenklatorische Änderungen ergeben werden.
Ökologie
Candelaria pacifica tritt zusammen mit ihrer Schwesterart auf der subneutralen bis mäßig sauren, meist staubimprägnierten, eutrophierten Rinde von freistehenden Laubbäumen und -sträuchern auf, selten auch an Nadelbäumen und Holz oder ganz selten auf Gestein.
Die Art dringt weit bis in die Städte vor. Im Nordwestdeutschen Tiefland tritt sie besonders an alten Linden im Siedlungsbereich auf, während sie im Süden Deutschlands vor allem von Ahorn und Eiche, aber auch an Pappel, Walnuss, Kirsche, Weide, Linde, Esche, Apfelbaum, Hainbuche, Ulme, Holunder, Robinie, Erle, Götter- und Maulbeerbaum sowie an Pfaffenhütchen fanden. In Österreich ist die Pazifische Leuchterflechte ebenfalls meist auf letzteren Arten zu finden.
Verbreitung und Gefährdung
Unsere Flechte des Jahres 2026 wurde erst vor wenigen Jahren von der Schwesterart abgetrennt, weshalb über ihre Verbreitung nur ungenügende Kenntnisse vorliegen. Beschrieben wurde sie von der Westküste Nordamerikas. Darüber hinaus existieren Vorkommen in Südamerika, Skandinavien, den Niederlanden und der Türkei. In der Folge wurde sie aus zahlreichen anderen europäischen Ländern gemeldet. In Nordeuropa scheint sie häufiger zu sein als ihre Schwesterart. Für den deutschsprachigen Raum wurde 2012 erstmals über Vorkommen von C. pacifica im Raum Aachen berichtet, was andere dazu motivierte, in ihren Herbarien nach unter anderem Namen abgelegten C. pacifica-Belegen zu suchen. Für Düsseldorf fand sich ein Beleg von 2009, für Gainberg in Oberösterreich sogar von 1989. 2012 wurde C. pacifica aus der Schweiz gemeldet, 2013 aus Schleswig-Holstein, 2015 aus Hessen, 2016 aus Baden-Württemberg, Hessen und dem westlichen Teil Bayerns (Unterfranken und Schwaben), 2018 aus Mecklenburg-Vorpommern, 2019 aus Thüringen, Nordostbayern und der hessischen Rhön.
Candelaria pacifica wurde zuerst im Westen von Deutschland und danach zunehmend häufig auch in den anderen Landesteilen beobachtet, was dazu verleitet zu glauben, die Art breite sich von Westen nach Osten aus. Anlässlich einer landesweiten Epiphytenkartierung von Nordrhein-Westfalen wurde Candelaria concolor – damals noch einschließlich C. pacifica – zwischen 2000 und 2002 nur an drei von 1815 Stationsbäumen in diesem Bundesland registriert, sie war also zu dieser Zeit noch eine seltene Art. Dann setzte eine ungeheuer rasche Ausbreitung von C. concolor ein. Im Rahmen eines Langzeitmonitorings in Düsseldorf mit jährlichen Wiederholungen wurde sie 2003 bereits an 12 Prozent und dann kontinuierlich häufiger, inzwischen an 80 bis 90 Prozent aller Stationsbäume registriert. C. pacifica wurde erst 2012 getrennt erfasst, auch sie wurde seitdem von Jahr zu Jahr häufiger und inzwischen an rund 20 Prozent der Stationsbäume nachgewiesen. Die Trennung der beiden Arten wird dadurch erschwert, dass sie an den Bäumen manchmal Mischrasen bilden.
Da Candelaria pacifica offenbar in Ausbreitung begriffen ist, erscheint sie auf den Roten Listen nicht als gefährdet, sofern sie überhaupt schon aufgeführt wird. In der kommenden Roten Liste der Flechten Deutschlands wird der Art eine Zunahme in den letzten Jahrzehnten attestiert. Erfreulicherweise wird der Wert von freistehenden Laubbäumen sowohl in der offenen Landschaft als auch in der Stadt endlich breit anerkannt und gehört die Luftbelastung mit Schwefelverbindungen weitgehend der Vergangenheit an. So liegen für Flechten, die an eutrophierter Rinde wachsen, an der sich beispielsweise Stickstoffverbindungen angelagert haben, keine erkennbaren Gefährdungsursachen vor.
Biologie
Candelariella pacifica verbreitet sich sowohl generativ, das heißt sexuell, durch Sporen, die in den Schläuchen (Asci) der Fruchtkörper (Apothecien) gebildet werden, wie auch vegetativ durch Blastidien, kleinen Thallusabschnürungen, die an den Spitzen, später auch an den Rändern und auf der Fläche der Thalli, so nennt man die vegetativen Körper von Flechten, entstehen. In Europa wurde die Bildung von Apothecien bisher nur einmal in der Türkei beobachtet, während sie in Nordamerika gelegentlich vorkommt.
Wie alle Flechten lebt die Art mit einem photosynthetisch aktiven Symbiosepartner zusammen, in diesem Fall mit chlorococcoiden Grünalgen.
Parasiten
Wohl auch weil die Art erst vor kurzem beschrieben wurde, sind auf ihr noch keine für sie spezifischen Parasiten bekannt. Zu erwarten sind aber solche, die auf anderen Arten der Gattung vorkommen, wie Arthonia candelariae Etayo, Ciliomyces oropensis, Tremella candelariellae, Epithamnolia xanthoriae, Selenosporium lichenicola, Illosporiopsis christiansenii oder weitere, bisher nur auf Arten der Gattung Candelariella nachgewiesene Arten.
Text: Wolfgang von Brackel, Christian Berg & Norbert Stapper
Ernenner: Naturschutzbund Österreich: https://naturschutzbund.at/, Bryologisch-Lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM) e. V.: https://blam-bl.de/
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