2025: Wasser-Hautflechte

Hymenelia lacustris

Gewässer und Feuchtgebiete sind für zahlreiche Moosarten und eine kleinere, dafür aber hoch-spezialisierte Gruppe von Flechten unentbehrliche Lebensräume. Von Bedeutung sind nicht nur Quellen, Bäche, Flüsse, Sümpfe und Sumpfwälder, sondern auch oft inselartig verteilte und kleinflächige Sonderstandorte wie etwa langzeitig sickerfeuchte Felsen. Die Wasser-Hautflechte, Hymenelia lacustris, ist die Flechte des Jahres 2025. Die Wahl fiel dieses Jahr auf eine Art, die die Nähe des Wassers liebt.

Die Liste der nachteiligen Eingriffe in die Lebensräume Gewässer und Feuchtgebiete ist lang: Neben der bewussten Trockenlegung von Feuchtgebieten zur Steigerung der land- und forstwirtschaftlichen Produktivität ist die Entnahme von Grundwasser ein wichtiger Gefährdungsfaktor für die an Gewässer und Feuchtgebiete gebundenen Moose und Flechten. Lange Zeit spielte der vor allem aus der Kohleverfeuerung stammende „saure Regen“ eine wichtige Rolle bei der Versauerung selbst abgelegener Quellen und Bachoberläufe. Obwohl sich die Gewässer vielerorts spürbar von der Versauerung erholen und der Säuregehalt sich wieder natürlicheren Werten anzunähern beginnt, erfolgt eine Wiederbesiedlung durch spezialisierte Moose und Flechten nur langsam.

© Wolfgang von Brackel

Wasser-Hautflechte ist Flechte des Jahres 2025
Die Wasser-Hautflechte lebt an häufig oder langzeitig überfluteten Silikatfelsen, besonders aber in der unteren Spritzwasserzone klarer Bäche mit stabil gelagerten Blöcken, fest in der Bachsohle verankerten Steinen oder anstehendem Gestein. Heute ist sie vorwiegend im Gebirge anzutreffen, kam früher aber häufig auch in blockreichen Tieflandbächen vor. In Mitteleuropa können sich große Bestände gelegentlich auch an sickerfeuchten, mäßig beschatteten Felsen bilden. Das glatte, oft durch tiefe Risse gegliederte Lager, das ist der Vegetationskörper von Flechten, den ein Geflecht aus Pilzfäden und Algen formt, ist cremefarben bis orange, im Schatten auch sehr hell. Die schüsselförmigen Fruchtkörper sind in das Lager eingesenkt.

Aussehen
Das Lager der Wasser-Hautflechte besteht aus einer glatten, bis zu 0,5 mm dicken Kruste, die fest mit dem Gestein verwachsen ist. In trockenem Zustand kann es, vor allem um die Fruchtkörper, von tiefen Rissen durchzogen sein. Die Farbe variiert von hell cremeweiß über ocker und orange bis zu rostrot, wenn es von der Sonne beschienen wird. Gelegentlich zeigt sich ein braunrotes Vorlager. Die nach innen gewölbten Fruchtkörper sind bleibend in das Lager eingesenkt und variieren ebenfalls stark in der Farbe, von weißlich über rosa und orange bis braunrot; in feuchtem Zustand erscheinen sie transparent rosa. Gelegentlich ist ein undeutlicher, lagerfarbener Rand ausgebildet. Im mikroskopischen Präparat zeigen sich breit-ellipsoide, farblose Ascosporen in 8-sporigen Schläuchen.

Verwechslungen können mit weiteren Vertretern der Gattung Hymenelia – einschließlich der Arten, die früher in die Gattung Ionaspis zugehörten – auftreten. An zeitweise untergetauchten, überrieselten und sickerfeuchten Silikatfelsen treten außer Hymenelia lacustris nur noch die extrem seltenen und auf sehr hohe Lagen begrenzten Arten H. odora und H. suaveolens auf, deren Fruchtkörper kleiner bleiben und bei H. suaveolens schwarz statt orange bis weißlich sind. Ähnliche Lager mit eingesenkten, nach innen gewölbten Fruchtkörpern haben auch Arten der Gattung Aspicilia. Insbesondere A. aquatica und A. laevata können sich den Lebensraum mit H. lacustris teilen, haben aber beide viel dunklere, braun-schwarze Fruchtkörper sowie erheblich dickere und anders gefärbte Lager.

Ökologie
Die Wasser-Hautflechte fühlt sich hierzulande besonders in klaren Bächen im mittleren bis oberen Bergland wohl, gelegentlich findet man sie auch im Flachland. An blockreichen Tieflandbächen ist sie auch heute noch etwa auf den Britischen Inseln regelmäßig bis zur Meereshöhe hinab anzutreffen. Sie wächst an häufig oder langzeitig überfluteten Felsen aus hartem, glattem Silikatgestein, vor allem auf Granit aber auch auf stabil gelagertem Schiefer. Gelegentlich ist die Art auch an längere Zeit sickerfeuchten Felsen außerhalb von Bächen zu finden, wobei derartige Standorte weder zu schattig noch zu stark besonnt sein dürfen. Durch Sonneneinstrahlung zu warme Standorte werden von Gallertflechten oder freilebenden Cyanobakterien besiedelt, zu schattige Felsen nur noch von Moosen und frei lebenden Algen. An und in leicht sauren bis neutralen Bächen und Flüssen werden leicht bis mäßig schattige bis voll besonnte Standorte besiedelt.

Verbreitung und Gefährdung
Die Flechte des Jahres 2025 hat eine weltweite Verbreitung und kommt auf allen Kontinenten außer der Antarktis vor, auch aus Afrika fehlen noch Nachweise. Selbst in den Tropen ist sie anzutreffen, bleibt hier aber auf die höheren Gebirge beschränkt. In Europa reicht ihr Areal von den griechischen Inseln und Südspanien bis nach Spitzbergen, vom Westen Irlands bis zum Ural.

Die Gefährdungen für die Wasser-Hautflechte sind Gewässerverbau, Eutrophierung, d.h. Anreicherung von Nährstoffen, Versauerung, Schadstoffe aus Landwirtschaft, Industrie, Bergbau etc. Durch den Ausbau von Gewässern – Begradigungen, Uferbefestigungen, Staudämme – verändern sich die Fließgeschwindigkeit und die Struktur des Bachbetts, wodurch geeignete Habitate der Art verloren gehen können. Eutrophierung bedingt in der Regel ein verstärktes Algenwachstum, was entweder zur direkten Konkurrenz mit den meist schnellwachsenden Algen führt oder zu einer Ausdunklung durch die Gewässertrübung. Bei zu starker Dunkelheit im Gewässer können die Algen im Flechtenlager keine Photosynthese mehr treiben, letztlich verhungert dann der gesamte Organismus.

Versauerung – durch die sauren Niederschläge in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts oder durch Einleitungen aus der Industrie – können den PH-Wert von Gewässern auf Werte bringen, die der Flechte ein Überleben verunmöglichen. In der Roten Liste Österreichs wird die Wasser-Hautflechte als „gefährdet“ geführt.

Fortpflanzung
Hymenelia lacustris verbreitet sich generativ, d.h. sexuell, durch Sporen, die in den Schläuchen der Fruchtkörper gebildet werden. Wie alle Flechten lebt die Art mit einem photosynthetisch aktiven Symbiosepartner zusammen, in diesem Fall mit einer Grünalge aus der Familie der Trebouxiaceae, Asterochloris.

Parasiten
Gemessen an der relativen Seltenheit der Art wird sie von einer ganzen Reihe von lichenicolen, d.h. flechtenbewohnende Pilzen, wie beispielsweise Endococcus propinquus, E. rugulosus oder E. verrucisporus, befallen. Ein Teil dieser Parasiten verändert bei geringem Befall das äußere Aussehen der Wirtsflechte nur durch das Auftreten der Fruchtkörper, bei anderen kann es dagegen zu einem markanten Ausbleichen der Wirtslager kommen.


Text:
Wolfgang von Brackel, Holger Thüs
Ernenner: Naturschutzbund Österreich, Bryologisch-Lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM) e. V.

Bilder: Alle Bilder auf dieser Seite dürfen für Pressezwecke in Zusammenhang mit Berichten über die Natur-des-Jahres-Themen unter Angabe der Bildquelle verwendet werden. Wir bitten Sie um ein Belegexemplar. Weitere Bilder finden Sie hier.

 

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