2023: Falsche Rentierflechte

(Cladonia rangiformis)

  • regional z. T. stark gefährdet
  • kommt an besonnten, warmen Standorten auf kalk- oder zumindest basenhaltigen, trockenen Böden vor

 

© Wolfgang von Brackel

Die Falsche Rentierflechte bildet bei ungestörtem Wuchs auf offenen, basenhaltigen Böden oder in lückigen Magerrasen große Polster von bis zu zehn Zentimetern Höhe und mehreren Dezimetern Durchmesser. Von den echten Rentierflechten (Cladonia subgen. Cladina) ist sie durch das Vorhandensein von zumindest einzelnen Phyllocladien („Blättchen“) im unteren Teil der Stämmchen zu unterscheiden. Nach der Echten Rentierflechte (Cladonia rangiferina, 2009) und der Finger-Scharlachflechte (Cladonia digitata, 2020) ist sie die dritte Art der großen Gattung Cladonia, die von Naturschutzbund und der Bryologisch-lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V. zur „Flechte des Jahres“ gewählt wurde.

Aussehen
Die Falsche Rentierflechte bildet (wie auch die echten Rentierflechten) bei ungestörtem Wuchs große grau- bis grün-weißliche oder fast braune Polster von bis zu acht Zentimetern Höhe und mehreren Dezimetern Durchmesser. Die hohlen Stämmchen (Podetien) sind mehrfach verzweigt, die Zweige sparrig allseitig nach (schräg) oben ausgerichtet. Blättchen (Phyllocladien) finden sich nur in geringer Zahl vorwiegend im unteren Bereich der Stämmchen. Die Oberfläche der Stämmchen ist grün gescheckt auf weißem Grund, vor allem die fast dornigen Spitzen sind oft gebräunt. Becher werden keine ausgebildet, die Achseln der Verzweigungen sind in der Regel geschlossen. An den Spitzen der Stämmchen finden sich regelmäßig kleine braune Pycnidien, selten sind dagegen in Mitteleuropa die deutlich größeren braunen Apothecien.

Verwechslungen sind möglich mit den echten Rentierflechten (Cladonia subgen. Cladina), die aber niemals Phyllocladien an den Stämmchen ausbilden, nicht-berindete Stämmchen besitzen und deren Äste bei den meisten und häufigeren der bei uns vorkommenden Arten nicht völlig allseitig ausgerichtet sind. Weiter können die Gabel-Säulenflechte (Cladonia furcata) oder die Rentier-Säulenflechte (Cladonia subrangiformis) Anlass zu Verwechslungen geben. Letztere sind aber meist brauner, nicht so auffallend gescheckt und weniger verzweigt; im Zweifelsfall kann ein Tüpfel-Test mit Kalilauge (K) bzw. para-Phenylendiamin (P) weiterhelfen: alle Chemotypen reagieren K+ gelb, der häufigere P‒; Cladonia fucata reagiert meist K‒ und P+ rot, Cladonia subrangiformis K+ gelb und P+ orangerot.

Ökologie
Cladonia rangiformis kommt an besonnten, warmen Standorten auf kalk- oder zumindest basenhaltigen, trockenen Böden, etwa über skelettreichen Kalkböden auf offenen Felstriften oder in Küstendünen, vor. In den hier nicht zu dichten Magerrasen konkurriert sie durchaus mit den Blütenpflanzen. Bei höherem Nährstoffangebot kann sie sich gegen deren Konkurrenz nicht mehr behaupten. In den Kalkgebirgen kann sie als Charakterart der Brometalia gelten, während sie in den Sandgebieten und an den Küsten im basenreichen Flügel der Corynephoretalia vorkommt. Im Gegensatz zu den echten Rentierflechten meidet sie als xerotherme Art weitgehend die Wälder.

Verbreitung und Gefährdung
Cladonia rangiformis ist weltweit in den warm-gemäßigten und warmen Regionen beider Hemisphären (mit wenigen Nachweisen auf der Südhalbkugel) verbreitet. In Europa reicht ihr Verbreitungsgebiet von Kreta und Sizilien bis nach Norwegen und Island; dort und am Ural erreicht sie gerade die Arktis, dringt aber nicht weiter nach Norden vor. Sie kommt in Mitteleuropa von der Küste bis in montane, höchstens subalpine Lagen vor.

Auch wenn die Falsche Rentierflechte regional noch ziemlich häufig ist, leidet sie jedoch unter der allgemeinen Eutrophierung der Landschaft und der Nutzungsauflassung bzw. Umwandlung von basenreichen Magerrasen. Trittbelastung, auch zu starke Beweidung, verträgt sie wegen ihres strauchigen Wuchses nur schlecht. Sie gilt daher in Deutschland als gefährdet (3), in der Schweiz als national bedroht (EN) und in Österreich bundesweit als ungefährdet, regional aber als stark gefährdet (2).

Biologie
Cladonia rangiformis verbreitet sich in Mitteleuropa nur ausnahmsweise und unter optimalen Bedingungen durch Ascosporen, die in den braunen Apothecien an den Zweigenden gebildet werden. Ansonsten ist die Flechte auf die Verbreitung durch Bruchstücke ihrer Podetien angewiesen, die jedoch, sofern sie geeignete Standortbedingungen finden, problemlos zu neuen Polstern heranwachsen.

Sie enthält als sekundäre Metaboliten (Inhaltsstoffe) Atranorin und Rangiformsäure, dazu je nach Chemotyp Norrangiformsäure, Fumarprotocerarsäure oder Psoromsäure.

Parasiten
Cladonia rangiformis wird von einer ganzen Reihe pilzlicher Parasiten befallen: Arthonia rangiformicola, Brackelia lunkei, Cladosporium licheniphilum, Didymocyrtis cladoniicola, D. foliaceiphila, Epicladonia sandstedei, E. simplex, E. stenospora, Epithamnolia longicladoniae, Lichenoconium pyxidatae, Merismatium heterophractum, Niesslia cladoniicola, Penttilamyces lichenicola, Roselliniella cladoniae, Talpapellis beschiana und Zyzygomyces bachmannii. Während die meisten der genannten Arten in den dichten Polstern kaum sichtbar werden, fällt die letztgenannte Art sofort durch die bräunlichen Basidiomata auf, die die ansonsten mehr oder weniger gerade aufwärts wachsenden Podetien der Wirtsflechte zu Verbiegungen zwingen. Als Jugendparasit tritt zu dem Parasitenspektrum die Flechte Diploschistes muscorum hinzu.

Text von Wolfgang von Brackel und Martin Nebel. Weitere Informationen über Flechten bei der Bryologisch-lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V.

Sämtliche Inhalte (Fotos ausschließlich mit Copyright) dürfen für Berichte über die Arten des Jahres verwendet werden. Wir freuen uns über ein Belegexemplar!

 

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