Traurig, aber wahr: Österreich belegt europaweit den Platz eins beim Bodenverbrauch. Die Nutzung des Raums hat definitiv längst eine kritische Grenze überschritten. Der Naturschutzbund plädiert für die zeitnahe Realisierung von dringend notwendigen Reformen in der Raumordnung. Aktuell gehe die Tendenz leider in die entgegengesetzte Richtung: der Verbau von Natur-, Grün- und Ackerland geht unvermindert weiter. Anlässlich seines 111-Jahr-Jubiläums lud der Naturschutzbund gestern zur Fachtagung „Planlos? Oder Raumordnung mit Zukunft“.
Bei Expert*innen-Vorträgen zu Raumplanung und Naturgefahrenrisikomanagement, Raumplanung im Zusammenhang mit Klima- und Biodiversitätskrise oder nachhaltige Entwicklung als gesamtgesellschaftliche Verantwortung konnte man sich im Salzburger Kolpinghaus am 21.11.24 informieren, warum eine überörtliche Raumplanung dringend erforderlich ist und was dafür getan werden muss.
Der unaufhörlich voranschreitende Bodenverbrauch in Österreich ist ein weit bekanntes und vielfach diskutiertes Thema, das aber gerne gemieden und nur ungern behandelt wird. Im Juni 2024 veröffentlichte die BOKU-Wien eine Studie über den Grad der Zersiedelung in Österreich mit dem Resultat, dass sich die stark zersiedelten Flächen seit 1975 verfünffacht haben. Das Hochwasser im September 2024 veranschaulichte auf dramatische Weise, welche Auswirkungen eine schlecht koordinierte Raumordnung mit sich bringt. Auch aus Sicht des Naturschutzes hat die Zersiedelung gravierende Folgen, die nicht weiter ignoriert werden dürfen.
„Die negativen Folgen der an Individual- und Wirtschaftsinteressen ausgerichteten bisherigen Raumordnungspolitik sind vielerorts sichtbar. Obwohl bereits seit Jahrzehnten Lösungsvorschläge von Expert*innen verschiedenster Fachrichtungen zur Verfügung stehen, fehlt den Entscheidungsträger*innen der Mut zu handeln. Im Sinne unserer Lebensgrundlage Boden fordert der Naturschutzbund eine konsequente Siedlungspolitik“, sagt Winfrid Herbst, Vorsitzender des Naturschutzbundes Salzburg.
Zur Fachtagung waren namhafte Expert*innen geladen, die sich intensiv damit auseinandersetzen, welche Auswirkungen fehlende Natur- und Retentionsräume durch eine schlecht koordinierte Raumordnung mit sich bringen. Diese berichteten über die aktuellen Probleme und über mögliche Lösungen. Abschließend stellten sich die Expert*innen den Fragen der Podiumsdiskussion und des Publikums. Die Botschaft des Abends: Viele Lösungsansätze für eine effektive und nachhaltige Raumplanung sind bereits vorhanden, doch es liegt an jedem Einzelnen von uns, sie umzusetzen. Auch das Gefühl von Ästhetik darf nicht verloren gehen. Aber es ist vor allem die Politik gefordert, endlich schnell zu handeln. Die drei großen Krisen unserer Zeit – die Biodiversitäts-, die Boden- und die Klimakrise – beeinflussen jetzt schon vielerorts unseren Alltag. Es gab viele kritische Meldungen, dass Politiker*innen allein nicht die fachkundigen Personen sind, die da wirklich etwas weiterbringen. Wenn man als Expert*in ihre Aussagen kontert, dann wird das nur als eine Bloßstellung dieser Personen wahrgenommen und die dringend notwendige sachliche Auseinandersetzung wird dadurch verhindert. Nur eine gute Zusammenarbeit von Wissenschaft, Politik und Naturschutz kann die Probleme der Raumordnung und der daraus resultierenden Konflikte lösen!
Ein breites Publikum und Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft war vor Ort und wird die Erkenntnisse aus der Veranstaltung für zukünftige Projekte nutzen. Der Naturschutzbund Salzburg ist bestrebt, das Thema Raumordnung weiter voranzutreiben.
Im Naturschutzbund-Fachpapier Raumordnung mit Zukunft sind die Thematik und die damit einhergehenden Problemlagen skizziert sowie zentrale Forderungen formuliert.
Zitate der Redner*innen dieser Veranstaltung:
Stephan Tischler, Vorsitzender CIPRA Österreich, bemängelte zum Thema alpine Raumordnung: „Es gibt sehr viel Papier – Empfehlungen, Handlungsanweisungen und Forderungen – nur in der Umsetzung ist wenig bis gar nichts passiert.“
Christine Itzlinger-Nagl, Leiterin der Abteilung 10 – Planen, Bauen, Wohnen, Land Salzburg, knüpfte daran an, fragte: „Wo sind die Bürger*innen, die eine konsequentere Raumordnung einfordern? Und sei es nur in Leserbriefen. Es sind immer die gleichen, die sich wehren, aber die große Masse sagt nichts. Es muss ein ‚Change‘ in den Köpfen stattfinden.“
Johannes Hübl, Institut für Alpine Naturgefahren an der BOKU Wien, gab zu bedenken, dass eine effektive Raumordnung vor allem durch Interessenskonflikte zwischen Personen und Gruppen verhindert wird: „Dabei wird die Realität von Naturgefahren nur wenig beachtet. Das Restrisiko, dass eine Naturkatastrophe – wie ein hundertjähriges Hochwasser – eintreten wird, wird in der Raumordnung und -planung ignoriert.“
Auch Franz Essl, Professor am Institut für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien, fordert: „Runter vom Betonier-Gaspedal!“ Durch Versiegelung und Flächeninanspruchnahme verliert Österreich bis zu 12,9 Hektar biologisch produktiver Böden pro Tag, was etwa 9,2 Fußballfeldern entspricht. Das Tückische: „Das ist ein schleichender Prozess, der in so kleinen Schritten stattfindet, dass ihn die meisten Menschen schon als normal empfinden. Er verändert jedoch Lebensräume, die zu einem Biodiversitätsverlust führen.“
Gernot Stöglehner, Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung an der BOKU Wien: „Man sollte sich also nicht die Frage stellen, wie viel Bauland brauche ich in Zukunft, sondern vielmehr, wie viel Grünland? Die Ernsthaftigkeit zu diesem Thema muss sich steigern, sowohl in der Politik, als auch bei jedem einzelnen von uns. Was möchte man? Wie viel traut man sich als Zivilgesellschaft zu?“
Dass der Status Quo besorgniserregend ist, demonstrierte im Anschluss Stadtplaner, Filmemacher und Publizist Reinhard Seiß in einer Fotoserie an einschlägigen Beispielen – Bilder, wie sie viele Österreicherinnen und Österreicher kennen, aber oft nicht mehr bewusst hinterfragen: fünf Tankstellen auf 700 Meter, brachliegende Stadtkerne mit parkplatzreichen Einkaufszentren in den Außenbezirken und flugbahngroße Straßen: „Der Handel ist unsere neue Kulturlandschaft.“
Mit Unterstützung des BMK
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