2026: Kraken

Kraken carinae

Was nach Seemannsgarn klingt, existiert wirklich: Kraken carinae ist eine winzige Amöbe, die sich wie das mythische Seeungeheuer „Kraken“ mit unzähligen Armen durch ihre Welt tastet. Unter dem Mikroskop entfaltet der Kraken ein filigranes Netz aus feinen Fäden – seine „Tentakel“ – mit denen er Beute fängt und zu sich heranzieht.

© Kenneth Dumack

Das Netz des Mikrokraken – Jagen mit lebenden Fäden
Wenn Kraken carinae auf Beute lauert, spannt er ein Netz aus dünnsten Fäden – Pseudopodien, die bis zu fünfzigmal länger als sein Zellkörper sind. Diese durchsichtigen „Tentakel“ verschmelzen miteinander und bilden ein Fangnetz, das Bakterien wie in einer unsichtbaren Falle festhält. Doch das ist erst der Anfang: Entlang dieser Fäden wandern gefangene Bakterien wie auf einem Förderband in Richtung Zellkörper – dorthin, wo sie verdaut werden. Kraken carinae ist also kein Jäger, der sprintet, sondern ein Lauerjäger, der Beuteorganismen in seiner Umgebung mit einem lebenden Fadennetz regelrecht abfischt.

Feuer frei im Mikrokosmos – der Kraken schießt zurück!
Unter dem Elektronenmikroskop zeigt sich, dass die Oberfläche des Zellkörpers mit winzigen Schuppen besetzt und Extrusomen unterfüttert ist – letztere sind kleine „Abschussvorrichtungen“, die in Sekundenbruchteilen reagieren können. Vielleicht dienen sie als Schutzschild gegen andere Einzeller, vielleicht auch als Waffe, um Beute zu lähmen. Niemand weiß es genau. So oder so: Dieser Einzeller mit eingebauter Rüstung und Geheimwaffe dient als ein Beispiel dafür, wie viel Erfindungsreichtum die Evolution selbst in die kleinsten Kreaturen steckt.

Spektakuläre Fortbewegung
Wie ein Ozeanriese, der sich auflöst und anderswo wieder auftaucht – so bewegt sich Kraken carinae. Er zerlegt seinen eigenen Zellkörper, transportiert ihn durch seine Fäden und baut sich an anderer Stelle wieder zusammen – extrem ungewöhnlich!

Eine völlig neue Linie des Lebens
Molekulare Analysen zeigen: Kraken carinae gehört zu den Cercozoa –Protisten – die zu den wichtigsten Bakterienfressern der Erde gehören. Seine Position im Stammbaum war so ungewöhnlich, dass eine neue Familie, die Krakenidae, und Ordnung, die Krakenida, geschaffen werden mussten.

Wo lebt dieses Mikromonster?
Gefunden wurde Kraken carinae in deutschen und spanischen Böden – aber auch in einem antarktischen See. Offenbar ist er ein echter Kosmopolit. In jedem Gramm der untersuchten Böden leben hunderte Individuen, die geduldig auf vorbeiziehende Bakterien lauern.

Warum er so schwer zu finden ist
Wenn er doch in deutschen Böden lebt, warum wurde er erst vor kurzem entdeckt? Kraken carinae ist extrem empfindlich, bewegt sich kaum und wächst langsam – ein Alptraum für Mikrobiologen. Nur durch Geduld und feine Mikroskopie gelang seine Entdeckung. Dennoch zeigt dieser Einzeller, wie viel unentdeckte Vielfalt in Böden und Sedimenten steckt. Jede neue Art wie Kraken carinae erzählt ein Stück der Evolution neu – und erinnert uns daran, dass selbst ein Krümel Erde voller Überraschungen steckt.

Text: Prof. Dr. Kenneth Dumack

Ernenner: Gesellschaft für Eukaryotische Mikrobiologie (EuMik): www.protozoologie.de

Bilder: Alle Bilder auf dieser Seite dürfen für Pressezwecke in Zusammenhang mit Berichten über die Natur-des-Jahres-Themen unter Angabe der Bildquelle verwendet werden. Wir bitten Sie um ein Belegexemplar.

 

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