2023: Artengruppe des Gewöhnlichen Wasserschlauchs

  • Pflanze ohne Wurzeln
  • auf stehende oder höchstens träg fließende saure, seltener auch basische Gewässer sowie Kleingewässer in Mooren, Sümpfen angewiesen
  • fleischfressende Art


Gemeinsam mit dem Verein zur Erforschung der Flora Österreichs hat der Naturschutzbund die Artengruppe des Gewöhnlichen Wasserschlauchs zur Pflanze des Jahres 2023 ernannt.

© Stefan Lefnaer

Beschreibung
Die zwei österreichischen Vertreter der Artengruppe des Gewöhnlichen Wasserschlauchs (Utricularia vulgaris agg.) sind trotz ihres Namens durchaus ungewöhnliche Pflanzen. Ihre Sprosse schweben ohne Verankerung im Gewässerboden knapp unter der Oberfläche von Gewässern, wo sie stellenweise dichte Bestände bilden können. Sie besitzen keine Wurzeln, das zum Leben nötige Wasser wird über die Laubblätter aufgenommen. Die Laubblätter sind stark geteilt, mit schmal-linealischen, borstig bewimperten Zipfeln. Zudem sitzen kleine Blasen an den Laubblättern.

Richtig auffällig sind nur die goldgelben Kronen der Blüten, die an traubigen Blütenständen aus dem Wasser ragen und Farbtupfer über dunklen Gewässern bilden. Die Blüten weisen am Grund einen Sporn auf, der den Nektar enthält. Die Krone ist zweilippig und durch einen Unterlippenwulst verschlossen („Maskenblumen“). Bestäuber müssen ihn durch ihr Gewicht hinunterdrücken, um die Blüte zu öffnen und zum Nektar zu gelangen. Als Bestäuber fungieren Schwebfliegen und Bienen. Die Kapselfrüchte enthalten schwimmfähige Samen, die Überwinterungsknospen aus dicht angenäherten Blattwirteln (Turionen oder Hibernakel) dienen auch der vegetativen Vermehrung.

Die Artengruppe besteht in Österreich aus Utricularia australis und U. vulgaris, die anhand von Blüten- und Fruchtmerkmalen unterschieden werden können.

Lebensraum und Verbreitung
Besiedelt werden stehende oder höchstens träg fließende saure, seltener auch basische Gewässer wie Seen, Altwässer, Tümpel, Gräben, Fischteiche sowie Kleingewässer in Mooren, Sümpfen oder Röhrichten. Utricularia vulgaris kommt auf der Nordhalbkugel von Europa bis Tibet und in Nordafrika vor. Das Verbreitungsareal von U. australis reicht von Europa über Afrika, das temperierte und tropische Asien von der Türkei bis Japan und im Süden Indonesien sowie den australischen Kontinent einschließlich Neuguinea und Neuseeland.

Utricularia vulgaris ist in Österreich auf basische Gewässer des Donau- und Marchtals sowie auf den Neusiedler See und den Seewinkel beschränkt, sichere Angaben gibt es nur für die wärmebegünstigten Tieflagen Ober- und Niederösterreichs, Wiens und des Burgenlands. U. australis besiedelt hingegen auch huminsäurehaltige Gewässer bis in die Montanstufe und tritt zerstreut in allen Bundesländern auf.

Gefährdung
Die carnivore Lebensweise hat für die Wasserschlauch-Arten den Vorteil, nährstoffarme, oligo- bis mesotrophe Lebensräume besiedeln zu können, in denen die meisten anderen, nicht speziell angepassten Pflanzenarten nicht überleben können. Dort können derartige Spezialisten ohne Konkurrenz gut gedeihen. Erkauft wird dies mit dem aufwändigen Fangsystem, dessen Ausbildung und Betrieb Energie kostet. Ursprünglich waren Nährstoffe in der Natur ein rares Gut und nährstoffarme Lebensräume daher häufig anzutreffen.

Werden ursprünglich nährstoffarme Lebensräume gedüngt (eutrophiert), sind die Fangblasen nur mehr ein teurer Ballast. Nicht speziell angepasste Arten, wie z. B. das Hornblatt (Ceratophyllum demersum), investieren ihre Energie effizienter in ihr Wachstum und gewinnen in einem solchen Fall schnell die Oberhand. Leider wurden und werden seit Beginn der Industrialisierung vom Menschen Unmengen an Nährstoffen in die Umwelt ausgebracht: einerseits durch mineralischen Dünger in der Landwirtschaft, der dann in Gewässer gelangt, sowie durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe. Die Nährstoffe (u. a. Stickoxide) werden in diesem Fall meist in die Luft geblasen und gehen später an oft weit entfernten, auch abgelegenen Stellen nieder. Auch die direkte Zerstörung von Nasslebensräumen, wie das Trockenlegen und Abtorfen von Mooren und das Zuschütten von Tümpeln, stellt eine Gefährdungsursache dar. In manchen Fällen kann auch Nutzungsaufgabe schaden, z. B. wenn eine Fläche nicht mehr beweidet wird und die kleinen Vertiefungen, die durch Kuhtritte entstanden und in denen der Wasserschlauch gedeiht, zuwachsen. Der Klimawandel wird diese Faktoren wohl noch verstärken. Negativ könnte sich auch die Erhöhung der Wassertemperaturen auswirken, was geringere Sauerstoffgehalte bedingt.

Der Gefährdungsstatus des Gewöhnlichen Wasserschlauchs in den Naturräumen Österreichs reicht von „gefährdet“ bis zu „vom Aussterben bedroht“.

Wissenswertes: Anpassung an Nährstoffarmut
Wasserschlauch-Arten haben sich im Laufe der Evolution auf nährstoffarme Lebensräume spezialisiert. Das können z. B. huminsäurereiche Kleingewässer in Hochmooren sein, die ausschließlich durch Regen gespeist werden. Wegen der fehlenden Verbindung zum mineralischen Untergrund sind diese Moorgewässer extrem nährstoffarm. Pflanzen, die diese Lebensräume besiedeln, müssen eine Strategie entwickeln, Nährstoffe wie Stickstoff aus anderen Quellen zu erschließen. Dazu haben einige Arten ausgeklügelte Strukturen entwickelt, um Insekten zu fangen, zu verdauen und auf diesem Weg zu den nötigen Stickstoffrationen zu kommen.

Wasserschlauch-Arten verwenden dafür kleine Fangblasen, die nach dem Saugfallenprinzip funktionieren. Unter allen carnivoren („fleischfressenden“) Arten wurde diese Methode nur von den Wasserschläuchen entwickelt. Sowohl der deutsche als auch der wissenschaftliche Gattungsname (lat. „utriculus“ bedeutet „kleiner Schlauch“) beziehen sich darauf.

In der Fangblase wird ein Unterdruck (Vakuum) aufgebaut. An der Vorderseite ist sie mit einer Klappe verschlossen, an der sich einige feine Borsten befinden. Mit Hilfe chemischer Lockstoffe oder dem Vortäuschen von Nahrung werden Beutetiere angelockt. Berühren diese die Borsten, öffnet sich die Klappe, und zwar mit der schnellsten bekannten Bewegung im Pflanzenreich: die Dauer des Öffnungs- und Schließvorgangs liegt bei weniger als zwei Millisekunden. Durch den Unterdruck wird die Beute in die Blase gesaugt, die sich danach wieder schließt. Das sehr kleine Beutetier, darunter Wasserflöhe, Rädertierchen, Fadenwürmer und Schnecken, wird nun in der Blase verdaut und verwertet.

Text von Stefan Lefnaer und Luise Schratt-Ehrendorfer

Sämtliche Inhalte (Fotos ausschließlich mit Copyright) dürfen für Berichte über die Arten des Jahres verwendet werden. Wir freuen uns über ein Belegexemplar!

 

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