2024: Pillenwälzer

(Sisyphus schaefferi)

Warum Mistkäfer als Jahresinsekten Mitteleuropas? Weil im Kreislauf der Natur alles verwertet wird; was wenn nicht? Wir Menschen haben noch viel von der Kreislaufwirtschaft der natürlichen Umwelt zu lernen – auch von Dung nutzenden Mistkäfern. Unter 40.000 Insektenarten Österreichs eine interessante und zugleich repräsentative Art zu erwählen ist und bleibt schwierig. Zur besonderen Jahresart unter den zehn Arten der Familie der Mistkäfer (Geotrupidae) Mitteleuropas wurde für den deutschsprachigen Raum der Stierkäfer Typhaeus typhoeus erwählt. Da er dort eher im westlichen und nordöstlichen Mitteleuropa vorkommt, wird speziell für Österreich der hier vor allem in der Osthälfte des Alpenlandes lebende Pillenwälzer Sisyphus schaefferi zu Österreichs "high-light-species 2024" ausgerufen – Österreichs Beispiels-Mistkäfer.

© Johannes Gepp

Pillenwälzer schneiden und formen aus Kotbrocken unterschiedler Herkunft rollbare Kugeln. Um sie vor Konkurrenten in Sicherheit zu bringen, werden sie mühsam meterweit verrollt und vergraben. Als „Futterbirnen“ dienen sie der eigenen Ernährung, als „Brutbirnen“ sind sie Orte der Entwicklung und Nahrung der nächsten Generation. So werden durch Koprophagie Abfallprodukte der Säugetiere verteilt und dem sich andauernd erneuernden Kreislauf der Natur zugeführt. Vor Jahrzehnten waren Mistkäfer im Osten Österreichs noch großflächig anzutreffen. Heute sind sie generell durch Antiparasitika gefährdet, z. B. durch Entwurmungsmittel für Haus- und Weidetiere. In der Steiermark betreut der Naturschutzbund mehrere der letzten „Pillenwälzer-Habitate“ durch giftfreie Beweidung

Johannes Gepp,

Österreichs Kurator für das Insekt des Jahres

2024: Stierkäfer

(Typhaeus typhoeus)

Die Dung- und Mistkäfer gehören zu den am stärksten bedrohten Gruppen unter den Insekten. Der Rückgang der Käfer wird von der Wissenschaft als ein wesentlicher Teil des weltweiten dramatischen Verlustes der Insektenfauna eingestuft. In Mitteleuropa sind zu Erhalt oder Wiederherstellung einer naturnahen und wirkungsvollen Koprophagenfauna (Kotfresser) mehrere Maßnahmen erforderlich. Dazu zählen die Reduktion von Antiparasitika bei Haus- und Nutztieren. Vor allem dürfen diese Mittel nur nach tierärztlicher Verschreibung und nicht rein prophylaktisch verabreicht werden; behandeltes Vieh sollte für eine gewisse Zeit im Stall in Quarantäne gehalten werden. Nutztiere sollten, wo möglich, vor allem wieder zu Weidegängern werden. Stallhaltung sollte nicht die Regel bleiben. Hoffen wir, dass der Stierkäfer zu einem guten Botschafter für die wichtige Rolle der koprophagen Käfer wird.

© Patrick Urban

Koprophage – in der Umwelt absolut unverzichtbar
Annähernd 10.000 Arten koprophager Käfer sind weltweit bekannt, in Mitteleuropa sind es etwa 130 Arten. Von diesen gehören zwölf – wie auch der Stierkäfer – zur Familie der Mistkäfer. Koprophage Käfer spielen in Ökosystemen eine entscheidende Rolle. Sie sorgen dafür, dass frischer Kot, vor allem von Säugern, relativ rasch, bei uns in der Regel innerhalb weniger Tage, von der Bodenoberfläche verschwindet. Dadurch wird der Nährstoffkreislauf zugunsten des Pflanzenwachstums geschlossen. So sorgen diese Käfer auch für die Unterdrückung der Entwicklung von parasitischen Würmern und Fliegen im Säugetierkot, fördern den Transport von Pflanzensamen und reduzieren die Emission von Treibhausgasen vor allem aus Kuhfladen. Allerdings werden diese Ökosystemleistungen nur erbracht, wenn die Fäkalien von Weidevieh stammen; Gülle und Mist von Tieren aus Stallhaltung können praktisch nicht verwertet werden.

Allein in Großbritannien wurden die kostenfreien Dienstleistungen der kotfressenden Käfer auf über 400 Millionen Euro pro Jahr berechnet.

Gefährdung und Schutz der koprophagen Käfer
Seit Mitte der 1980er Jahre verzeichnen Entomolog*innen und Ökolog*innen weltweit einen starken Rückgang der Populationen vieler Mist- und Dungkäfer. Der Auslöser: Halter*innen von Weide- und anderen Großtieren waren dazu übergegangen, ihre Tiere nicht nur bei akuten Krankheiten und Parasitenbefall, sondern prophylaktisch medikamentös zu behandeln.

Die Wirkstoffe werden aber von den behandelten Tieren ausgeschieden. So wirken sie über die eigentlichen Zielorganismen hinaus auch bei allen anderen im Kot lebenden Insekten. Das hat zur Folge, dass koprophage Käfer sterben oder nur noch eingeschränkt reproduzieren. Der Rückgang dieser Käfer wird von der Wissenschaft als ein wesentlicher Teil des weltweiten dramatischen Verlustes der Insektenfauna eingestuft.

Stierkäfer
Der Stierkäfer (Typhaeus typhoeus) ist der beeindruckendste Vertreter der Dung- und Mistkäfer. Ein Ungeheuer ist der schwarz glänzende, zwischen 14 und 20 Millimeter große Käfer aber nicht, auch wenn er seinen wissenschaftlichen Namen dem Typhon, einem Riesen mit hundert Drachenköpfen aus der griechischen Mythologie verdankt. Der deutsche Trivialname zielt passender auf die drei „Hörner“ der männlichen Käfer im vorderen Bereich des Halsschildes ab, von denen die beiden äußeren – wie beim Stier – nach vorne gerichtet sind. Diese werden vom Stierkäfer beim Kampf mit Rivalen und zum Schutz seiner Nistplätze eingesetzt.

Verbreitung und Lebensraum
Der von Nordafrika über Westeuropa bis ins östliche Mitteleuropa verbreitete Stierkäfer ist der Kraftprotz unter seinesgleichen: Die Mistkäferart kann mehr als das 1.000-fache ihres eigenen Körpergewichts ziehen. Diese Stärke nutzen die Käfer, um Kot von Kaninchen, Rehen, Rindern, Schafen oder Pferden in Form einer Kugel als Nahrung für ihren Nachwuchs in die engen Gänge ihrer Brutkammern zu schieben. Stierkäfer graben dafür nach der Paarung einen etwa ein bis zwei Zentimeter breiten und bis 1,5 Meter tiefen Schacht in den lockeren Boden. Die Seitengänge enden jeweils in einer Kammer; dort wird der eingebrachte Kot zu einer Pille geformt, neben der das Weibchen das Ei ablegt. Aus dem Ei schlüpft die Stierkäfer-Larve, die zur Brutpille kriecht und sich davon ernährt. Nach etwa einem Jahr ist die Entwicklung der Käfer abgeschlossen.

Weiterführende Literatur/Lesetipps
BUNALSKI, M. (1999): Die Blatthornkäfer Mitteleuropas. Coleoptera, Scarabaeoidea. Bestimmung - Verbreitung - Ökologie. 80 S., Bratislava.
BUNZEL-DRÜKE, M. et al. (2019): Naturnahe Beweidung. Ganzjahresbeweidung im Management von Lebensraumtypen und Arten im europäischen Schutzgebietssystem NATURA 2000. 2. Aufl.: 413 S.; Bad Sassendorf.
JONES, R. (2017): Call of Nature. The Secret Life of Dung. Pelagic Publishing. 292 pp.; Exeter.
KLAUSNITZER, B. (2019): Wunderwelt der Käfer. 3. Aufl.: 248 S.; Springer-Verlag, Berlin & Heidelberg.
RÖSSNER, E. (2012): Die Hirschkäfer und Blatthornkäfer Ostdeutschlands (Coleoptera: Scarabaeoidea). 507 S.; Erfurt.

Ernannt von: Naturschutzbund und Österreichische Entomologische Gesellschaft https://www.entomologie.org/ gemeinsam mit dem „Kuratorium Insekt des Jahres“

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