2014: Landkartenflechte

(Rhizocarpon geographicum)

Die Landkartenflechte ist eine der bekanntesten Flechtenarten, was sich schon daran zeigt, dass sie einen gebräuchlichen deutschen Namen hat. Bei einiger Phantasie erinnern ihre gefelderten, grün-schwarz gemusterten Lager auf Silikatfelsen tatsächlich an Landkarten. Die Flechte des Jahres wird von Bryologisch-lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V. ernannt.

Landkartenflechte © Roman Türk
Landkartenflechte © Roman Türk
Aussehen
Die Art ist unverkennbar und nur mit einigen nahe verwandten Arten zu verwechseln. Ihre gefelderten, leuchtend gelben bis olivgrünen Lager sind fest mit dem besiedelten Gestein verwachsen. Zwischen den schwarz gesäumten, gelben Thallusfeldern (Areolen) liegen die kantigen, schwarzen Fruchtkörper (Apothecien). Oft ist das gelbe Lager von einem scharzen Vorlager umgeben. Im mikroskopischen Schnitt zeigen sich große, dunkelbraune, mauerförmig geteilte Sporen.
In der Gattung Rhizocarpon findet sich eine Reihe weiterer Arten mit gelblichem Lager, die aber selten und/oder auf die Hochlagen beschränkt sind. Zu ihrer Unterscheidung müssen die Sporen und teilweise auch die für eine Art typischen Inhaltsstoffe im Thallus chemisch untersucht werden. Rhizocarpon geographicum selbst wird in mehrere Unterarten unterteilt und stellt wahrscheinlich eine komplexe Sammelart dar.
 
Ökologie
Die Landkartenflechte ist eine Art saurer Silikatfelsen, die in den felsreichen Gebirgslagen oft aspektbildend auftritt. Neben ihren natürlichen Standorten kommt sie auch auf Mauern, an Grabsteinen und auf Ziegeln vor. Hier zeigt sich auch ihre Vorliebe für sauere Gesteine: frische Ziegel werden nicht angenommen, erst wenn die basischen Anteile durch den Regen ausgewaschen sind, erfolgt eine Besiedlung. Die Art bevorzugt offene, beregnete Standorte und meidet sickerfeuchte oder schattige ebenso wie eutrophierte Felsbereiche.
 
Verbreitung und Gefährdung
Die Art ist aus ganz Mitteleuropa bekannt. Während sie in den Alpen und den Mittelgebirgen ziemlich häufig bis sehr häufig vorkommt und nicht gefährdet ist, klingt sie im Norddeutschen Flachland aus und gilt etwa in Schleswig-Holstein als vom Aussterben bedroht. Insgesamt ist sie weltweit in kühlen bis kalten Regionen verbreitet, wobei sie sich in den Wärmegebieten in die höheren Gebirge zurückzieht.
Wie bei Hedwigia ciliata, dem Moos des Jahres 2014, ist der Rückgang außerhalb der Gebirge zu einem großen Teil auf das Verschwinden von Findlingsblöcken und Steinriegeln aus der Landschaft zurückzuführen. Sie sind entweder der Flurbereinigung zum Opfer gefallen oder durch Nutzungsauflassung von Extensivweiden so dicht mit Gehölzen bewachsen, dass sie für die lichtliebenden Arten zu dunkel geworden sind.
 
Biologie
Unter den Krustenflechten gibt es relativ schnell und sehr langsam wachsende – die Landkartenflechte gehört eindeutig zu den letzteren. Die Wachstumsraten sind einerseits abhängig von der geografischen Breite bzw. der Meereshöhe und andererseits vom Alter bzw. der Größe der Flechtenlager. So wurden in der Arktis Wachstumsraten von etwa nur 0,15 mm/Jahr in der Jugend (die ersten 250 Jahre!), dann nur noch 0,03 mm/Jahr gemessen, während sie bei Messungen in Wales, Schottland, Island und der Schweiz zwischen 0,3 und 1 mm/Jahr lagen. Sind die Wachstumsraten an einem bestimmten Ort bekannt, können sie zum Datieren des Rückzugs von Gletschern bzw. allgemein zum Bestimmen des Alters von freiliegenden Gesteinen (prähistorische Steinfiguren) genutzt werden; diese Methode der Altersbestimmung nennt sich Lichenometrie.
Rhizocarpon geographicum ist ein sehr langlebiger Organismus, bei einzelnen Individuen wurde ein Alter von weit über 1000 Jahren ermittelt. Zudem ist sie ausgesprochen resistent gegen Kälte, so ist sie auch bei Minusgraden photosynthetisch aktiv.
Die Landkartenflechte war eine der Arten, die im Rahmen der Lithopanspermia-Experimente für zehn Tage den Bedingungen des Weltraums ausgesetzt wurden, was sie ohne größere Schäden überstand. Den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre an der Außenwand der Raumkapsel überlebte sie jedoch nicht (das hielt nicht einmal der Granitbrocken aus, auf dem sie wuchs).
 
Flechtenbewohnende Pilze
Rhizocarpo aphicum ist Wirtsflechte einer ganzen Reihe flechtenbewohnender Pilze (13 Arten) und parasitischer Flechten (sieben Arten). Der Typus der erst jüngst beschriebene Art Pronectria rhizocarpicola wurde 2006 auf einer Exkursion der BLAM in der Schweiz gefunden.
 
Text von Wolfgang von Brackel
 
  Pressefoto: © Roman Türk

 

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